Archiv für Sozialgeschichte
Rezension

Gottfried Niedhart, Die Außenpolitik der Weimarer Republik (= Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd.53), R. Oldenbourg Verlag, München 1999, X, 142 S., geb., 68 DM.

Noch immer gilt die Weimarer Republik als eine der umstrittensten Phasen der neueren deutschen Geschichte; allzu oft wird die historische Betrachtung auf die Frage reduziert, wie an ihrem Ende der Absturz in die nationalsozialistische Diktatur erfolgen konnte. So richtig es ist, bei der Beschäftigung mit der Weimarer Republik die Machtergreifung Hitlers nicht aus dem Auge zu verlieren, so falsch wäre es doch, dieser Epoche ihr eigenes Gewicht abzusprechen. Dies gilt vor allem auch für den Bereich der Außenpolitik, der in der Forschung mitunter bloß ein Anhängsel der vermeintlich wichtigeren Debatten etwa über die Gründe des Untergangs der Republik bildet. Schon deshalb greift der Leser mit Interesse zu einer Untersuchung Gottfried Niedharts, die als 53. Band in der "Enzyklopädie deutscher Geschichte" erschienen ist.

Dem Gliederungsschema dieses auf 100 Bände angelegten Mammutunternehmens verpflichtet, beginnt Niedhart mit einem enzyklopädischen Überblick zur Epoche. Da die Außenpolitik der Weimarer Republik keine ungebrochene Kontinuitätslinie aufweist, unterscheidet er drei Phasen, deren verbindendes Element das "Versailler System" darstellt. Niedhart beleuchtet zunächst die vornehmlich reaktiv agierende Nachkriegspolitik der Jahre 1919-1923, die insbesondere vom "Versailler Diktat" und der Reparationsproblematik bestimmt wurde. Am Ende dieser Periode stand die Erkenntnis, dass eine Änderung des Systems nicht durch Kooperation, sondern nur mittels Konfrontation gegenüber den Siegermächten erzielt werden könne. Zum zentralen Gestalter dieser von Peter Krüger so genannten "republikanischen Außenpolitik" avancierte Gustav Stresemann. Zwar legte auch er das Leitmotiv der bisherigen Politik, die Revision des Versailler Vertrages, nicht ab, änderte aber die Mittel, mit denen dieses Ziel erreicht werden sollte.

Gegen heftige Kritik der nationalistischen Rechten trachtete Stresemann danach, die Wahrung nationaler Interessen mit internationaler Friedenssicherung zu verbinden. Trotz unbestrittener Erfolge wie dem Abschluss des "Locarno-Paktes" oder dem "Völkerbundeintritt" zeigte er sich indes schon bald enttäuscht, weil sich in den für Deutschland zentralen Problemen – der Rheinland-Räumung, der Saarfrage, der Reparations- und Rüstungsproblematik – keine greifbaren Resultate einstellten. Offenbar fehlten ihm ein Sinn für die Realität und die Fähigkeit, eine "wirkliche Konsolidierung von internationaler Vertrauensbildung" abzuwarten (S. 28).

Im zweiten Teil widmet sich Niedhart ausführlich den "Grundproblemen und Tendenzen der Forschung", behandelt die Weimarer Außenpolitik zunächst als Gegenstand der Historiographie, untersucht dann die republikanische Außenpolitik im Kontext deutscher Großmachtpolitik und erörtert schließlich die Lage Deutschlands im internationalen System.

Abermals wird deutlich, dass die Weimarer Außenpolitik nicht erst mit dem Tode Stresemanns 1929 in alte Gleise zurückkehrte. Schon ein Jahr zuvor hatte sich ein Rechtstrend bemerkbar gemacht, dem Stresemann Tribut zollte. Seine Forderung nach Räumung des Rheinlandes oder das Verlangen des Reichskanzlers Müller nach einem Ende der Ungleichbehandlung Deutschlands in der Abrüstungsfrage setzten erste Signale für einen nationaleren Kurs. Dem Krieg als Mittel der Politik erteilte Stresemann mit seiner "ökonomischen Variante deutscher Machtpolitik" (S. 63) allerdings weiterhin eine "definitiv[e]" Absage (S. 50).

Vor dem Hintergrund einer allmählichen Auflösung des "Versailler Systems" setzte seit 1930 eine Re-Nationalisierung der deutschen Außenpolitik ein. Erneut wurde der alte und auch zu Zeiten Stresemanns in manchen Köpfen spukende Wunsch nach der Erringung der Hegemonie ins Repertoire der außenpolitischen Ziele aufgenommen. Ob die Phase vom Beginn der Präsidialkabinette bis zur Machtübernahme Hitlers diesbezüglich als Einheit begriffen werden kann oder ob es nicht zumindest unter Reichsaußenminister Curtius noch eine Tendenz zum "Verhandlungs-" statt zum "Konfrontationsrevisionismus" gegeben habe (Andreas Rödder), lässt Niedhart ungeachtet differenzierender Ausführungen über Kontinuitäten und Diskontinuitäten der Weimarer Außenpolitik offen.

Synthesen auf knappem Raum stellen für jeden Autor eine große Herausforderung dar. Niedhart hat sie trefflich bestanden, dabei nicht nur die Außenpolitik der Weimarer Republik in ihrer Eigenständigkeit, sondern auch in ihren diversen Bezügen und Verflechtungen mit innenpolitisch-gesellschaftlichen Formationen wie mit internationalen und transnationalen Beziehungen nachgezeichnet. Eine umfassende Bibliographie, die neben einer ersten Orientierung über Akteneditionen, Dokumentationen und persönliche Quellen ein ausführliches Literaturverzeichnis bietet, schließt den Band ab. Den Anspruch der Reihe, rasch und zuverlässig über den Stand der Forschung zu informieren, löst Niedhart sehr überzeugend ein. Als Arbeitsinstrument dürfte seinem Werk bei Fachhistorikern, Studenten und Geschichtslehrern ein fester Platz sicher sein.

Ulrich Lappenküper, Bonn



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