Archiv für Sozialgeschichte
Rezension

Michael Spehr, Maschinensturm. Protest und Widerstand gegen technische Neuerungen am Anfang der Industrialisierung (= Theorie und Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft, Bd. 18), Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2000, 224 S.,kart., 48 DM.

Der frühindustrielle Maschinensturm ist vielen Missverständnissen ausgesetzt gewesen. Freunde des Fortschritts von links und rechts haben ihn zum Kampf gegen die Industrialisierung stilisiert und nicht selten zur Diskreditierung jeder Technikkritik missbraucht. Zwar hat die historische Protestforschung seit Hobsbawms grundlegendem Aufsatz von 1952 über die Machine Breakers solchen Deutungen den Boden entzogen, aber alte Mythen sind hartnäckig und neue wachsen munter nach. Am Ende des 20. Jahrhunderts hatte die Technikskepsis Konjunktur. Auf der Suche nach gleichgesinnten Vorläufern sind nun die Fortschrittspessimisten bei den Maschinenstürmern fündig geworden. Sie sehen in ihnen weitsichtige Protagonisten einer sozialverträglichen Produktionsweise, mindestens aber die Bewahrer einer moralisch überlegenen Wirtschafts- und Sozialordnung, die in der traditionellen Volkskultur verwurzelt gewesen seien und sich gegen die zerstörenden Wirkungen eines ungeregelten Markt- und Maschinenkapitalismus zur Wehr gesetzt hätten. Für Deutschland kommt- Fehldeutungen fördernd - hinzu, dass der Maschinensturm in der historischen Protestforschung lange ein Stiefkind geblieben ist. Wo man wenig weiß, lässt sich leicht spekulieren. Das ist nach dem hier vorzustellenden Buch schwerer geworden.

Michael Spehr hat den vor- und frühindustriellen Maschinensturm für die Zeit von 1815-1848/49 und innerhalb der Grenzen des Deutschen Bundes - also erfreulicherweise einschließlich Böhmens und Österreichs - mustergültig untersucht: auf der Höhe der Forschung, empirisch fundiert, erfrischend nüchtern und auf nur 165 Seiten gut geschriebenen Textes wohltuend konzentriert. Darstellung und Analyse bauen auf einer soliden Informationsbasis auf, die aus archivalischen Quellen und zeitgenössischen Publikationen gewonnen worden ist. Sie besteht zum einen aus einer systematischen Sammlung von kollektiven Aktionen, die sich gegen Maschinen oder deren unbeschränkten Gebrauch gerichtet haben, zum andern aus detailliert rekonstruierten Einzelereignissen mit besonderer Aussagekraft. Diesen Unterschieden im Material entsprechend, kombiniert Spehr quantitative Auswertungsmethoden mit der Fallstudie. Überzeugend nutzt er die analytischen Potentiale des Vergleichs. Er gewinnt und verfolgt die untersuchungsleitenden Fragen in der Auseinandersetzung mit den oben genannten Positionen. Er betrachtet die Protestträger und deren Aktionen in ihrem wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Kontext und erschließt sich damit ein breites Erklärungsfeld. Die Ergebnisse sprechen für sich. Ich empfehle sie nachzulesen und beschränke mich hier auf eine kleine Auswahl von Appetitmachern.

Im Vergleich zu England und Frankreich war Deutschland protestarm. Dass diese Aussage insbesondere auf luddistische Aktionen zutrifft, deutete sich schon auf Grund der bisher vorliegenden Fallsammlungen an, kann aber jetzt als gesichert gelten. Mit 186 Fällen in 35 Jahren, die Spehr ermitteln konnte, davon 136 Petitionen, waren sie selbst im seltenen Sozialprotest noch eine marginale Erscheinung. Schon die geringe Zahl und die überwiegend moderate Form dieser kollektiven Aktionen gegen Maschinen und Fabriken sind eine deutliche Warnung vor weit reichenden modernisierungskritischen Schlussfolgerungen. Eine virulente Technikfeindschaft in Reaktion auf die Frühindustrialisierung hat es offenbar nicht gegeben. Als Kronzeugen einer verbreiteten Strategie zur vorbeugenden Vermeidung negativer Technikfolgen fallen die Maschinenstürmer aus.

Der zugrunde liegende Befund - das geringe Ausmaß des sozialen Protests in Deutschland im Allgemeinen, des Maschinenprotests im Besonderen - bleibt allerdings nach wie vor erklärungsbedürftig. Überzeugte Anhänger der maschinellen Produktion waren die Manufakturarbeiter und Kleinmeister im Textilhandwerk, im Buchdruck und in der Eisenverarbeitung nicht. Die produktionstechnischen Veränderungen trafen sie hart und häufig im Kern ihrer wirtschaftlichen und sozialen Existenz. Stärkere Gegenwehr wäre zu erwarten gewesen. Im Vergleich der Maschinenproteste nach Trägergruppen macht Spehr verständlich, warum sie so schwach blieb. Aktives Protesthandeln setzte ein berufsbezogenes kollektives Selbstbewusstsein, Solidarität und intakte Organisationsstrukturen voraus. Darüber verfügten die wenigsten. Unerlässlich war offenbar auch ein langfristiges Nebeneinander maschineller und handwerklicher Produktionsformen. Auch das war selten der Fall. Wo ganze Gewerbe schnell vernichtet wurden oder wo das von der Mechanisierung ausgelöste Wirtschaftswachstum zügig neue Arbeitsplätze schuf, fehlten Protestfähigkeit oder Protestmotiv. Die zeitlichen Höhepunkte des Maschinensturms in den europäischen Revolutionsjahren 1830 und 1848 verweisen auf zwei weitere Faktoren: die Schwäche staatlicher Kontrolle einerseits, die stimulierende Wirkung einer politisierten und erregten Öffentlichkeit andererseits. Beides sind wichtige konditionale Variablen - für den Umschlag von latenter Spannung in offenen Protest vermutlich ebenso wichtig wie die Ursachen, aber im deutschen Vormärz auch nicht eben häufig.

Das Fazit der Studie: Die Maschinenstürmer kämpften für Arbeitsplätze. Dieses einfache und sehr rationale Interesse stellt sich quer gegen die ideologisch belasteten und häufig überfrachteten Interpretationen. Die Befreiung des sozialen Protests aus der Funktionalisierung durch alte und neue Mythen ist zwar nicht allein Spehrs Verdienst. Er steht dabei in einer guten Tradition, aber er hat den Prozess ein gutes Stück vorangebracht. Dies vorausgeschickt, sollen abschließend einige Bedenken nicht unterdrückt werden. Beim Großreinemachen gerät leicht etwas in den Abfall, was bei genauerem Hinsehen noch brauchbar gewesen wäre. So berechtigt Kritik auch sein mag, sie darf nicht hinter Einsichten zurückfallen, die sich als fruchtbar erwiesen haben, gleichgültig von wem und auf welche Weise sie gewonnen worden sind. Das gilt schon für das symbolische Handeln im Protest, das mir erheblich wichtiger gewesen zu sein scheint, als Spehr ihm zugesteht. Das trifft noch mehr auf vormoderne Normen und Institutionen zu, deren prägenden Einfluss auf Protestmotive, -fähigkeit und -verhalten er m.E. zu sehr relativiert. Das verwundert um so mehr, als er an zentralen Beispielen - den Wirtschaftsprinzipien des alten Handwerks, der Kommunikations- und Organisationsfunktion der Gesellenkassen, dem patriarchalischen Staatsverständnis, der Verhaftung im ständischen Denken - diesen Zusammenhang selbst herstellt. Man muss nicht gleich an Existenz oder Kontinuität einer plebeischen Kultur glauben, wenn man bis zum Gegenbeweis an einem durch traditionelle Werte und Handlungsmotive strukturierten Bezugssystem des Sozialprotests festhält. Schließlich: Eine zentrale Frage aller Protestforschung ist die nach der Rationalität der Aktionen. Sie ist im Verhalten der Protestierenden in zahlreichen Details nachgewiesen worden. Spehr hat dem bisher Bekannten weitere überzeugende Beispiele für die Maschinenstürmer hinzugefügt. Auch wenn er resümiert: „Ihre Aktionen waren [...] konkret, handfest, dienten der Durchsetzung ihrer Ziele und Interessen" (S. 63) ist das zweifellos richtig. Aber gegen den sich aufdrängenden Eindruck einer Gesamtrationalität des Protesthandelns im Maschinensturm ist doch daran zu erinnern, dass kollektive Zerstörungsakte eine starke Eigendynamik entwickeln konnten. Als Verstöße gegen die Rechtsordnung lösten sie zudem regelmäßig Strafaktionen aus. Beides schränkte die Kontrollmöglichkeiten erheblich ein. Instrumenten der kollektiven Interessenvertretung, die sich so sehr der Planung und Steuerung entziehen, wird man insgesamt schwerlich einen hohen Rationalitätsgehalt zubilligen können. Sie waren doch wohl zeitspezifische Notlösungen, weil unter den gegebenen Rahmenbedingungen keine besseren verfügbar waren. Auch dass die Maschinenstürmer schlicht um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze kämpften, macht ihr Handeln noch nicht rational. Es waren aussichtslose Unternehmen mit untauglichen Mitteln für ein illusorisches Ziel. Da hatten die theoretischen und praktischen Vorkämpfer der organisierten Arbeiterbewegung mit ihrer Kritik schon recht.

Heinrich Volkmann, Berlin



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