Archiv für Sozialgeschichte
Rezension

Jan Gielkens, Karl Marx und seine niederländischen Verwandten. Eine kommentierte Quellenedition(= Schriften aus dem Karl-Marx-Haus Trier, Nr. 50), Karl-Marx-Haus Trier, Trier 1999, 442 S., geb., 59 DM.

Karl Marx bleibt für Biographen attraktiv, wie die jüngst erschienene Biographie des englischen Journalisten Francis Wheen erneut belegt. Aber in der Literatur spielt Marx’ beachtlicher Kreis von Verwandten, insbesondere in den Niederlanden, in der Regel kaum eine Rolle. Die Beziehungen zu seiner Familie waren jedoch enger, als dies aufgrund der einschlägigen Darstellungen zu vermuten wäre. Das herkömmliche Bild wird nicht zuletzt von den abfälligen Bemerkungen bestimmt, die Marx mehrfach im Briefwechsel mit Friedrich Engels äußerte. Die hier zu besprechende Quellenedition, die 1998 auch als Dissertation an der Universität Bremen angenommen wurde, versucht, dieses schiefe Bild zurechtzurücken.

Jan Gielkens, ein langjähriger Mitarbeiter des Amsterdamer Internationalen Instituts für Sozialgeschichte, lässt in seiner ausführlich kommentierten Briefedition Marx’ Werk beiseite und konzentriert sich auf dessen niederländische Verwandtschaft. Durch das Heranziehen erstmalig ausgewerteter Nachlässe werden die Konturen der einzelnen Familien und Persönlichkeiten deutlich und auch eine Reihe biographischer Fakten über Karl Marx selbst erhellt. Die Edition der insgesamt 77 Dokumente, die zwar in der Mehrzahl bereits anderswo veröffentlicht worden waren und hier erstmals zusammengeführt sind, erfolgte in Anlehnung an die Richtlinien der Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA). Ähnlich wie übrigens die Edition „Die Herkunft des Friedrich Engels. Briefe der Verwandtschaft" (1991) erschien der Band in der Schriftenreihe des Karl-Marx-Hauses Trier.

Die niederländische Verwandtschaft von Karl Marx war groß. Sein Vater Heinrich hatte einen Amsterdamer Oberrabiner zum Stiefvater. Seine Mutter Henriette Presburg wurde in Nimwegen geboren und wuchs dort als Tochter einer Rabinerfamilie auf. Henriette Presburgs Schwester Sophie heiratete den Zaltbommeler Kaufmann Lion Philips, den Großvater der Gründer des Philips-Konzerns. Marx’ älteste Schwester Sophie heiratete den Maastrichter Rechtsanwalt Robert Schmalhausen, eine jüngere Schwester, Louise, den Zaltbommeler Juristen und späteren Verleger und Buchhändler im südlichen Afrika Carel Juta. In der ausführlichen und detailreichen Einführung von Gielkens werden diese einzelnen Familien und Verhältnisse genau dargelegt und durch übersichtliche Genealogien veranschaulicht.

Intensiv war vor allem der Briefwechsel von Karl Marx mit seinem Onkel Lion Philips und dessen Tochter Nanette. Darin werden zahlreiche Themen, vom amerikanischen Bürgerkrieg bis zur Elektrizität, berührt, finanzielle Fragen fehlen jedoch fast vollständig. Gielkens kann man zustimmen, dass sich gerade in den Briefen mit dem Onkel „eine große gegenseitige Wertschätzung" zeige. Nichtsdestoweniger ist zu beachten, dass Marx seine Briefe ausdrücklich auf den Adressaten abstellte. So schrieb Marx, als er 1861 auf „Raubzug" nach Holland unterwegs war, um angesichts seiner katastrophalen Finanzverhältnisse einen Vorschuss auf sein mütterliches Erbe zu erhalten, an Ferdinand Lassalle: „Der Mann [Lion Philips] ist zäh, hat aber viel Eitelkeit auf mein Schriftstellertum". Entsprechend stellte Marx immer wieder auf seine Veröffentlichungen und seine ausgedehnten politischen Bekanntschaften ab. Vor diesem Hintergrund ist auch sehr fraglich, ob Marx, wie er im Juni 1864 an Lion Philips schrieb, tatsächlich „theils in Americanischen funds, namentlich aber in den englischen Actienpapieren" spekuliert und „in dieser Art über 400 £ Sterling gewonnen" hatte. Recht rührend lesen sich zum Teil die Antworten Lion Philips, der z. B. im Juli 1865 schrieb: „Ich hoffe Du wirst bald einmahl ein ruhiger Carrière erwerben, und Dich nicht von andre plagen lassen." Er setzte sich aber auch klar von den Vorstellungen seines kommunistischen Verwandten ab. Nachdem Marx ihm die Gründungsdokumente der Ersten Internationale zugesandt hatte, schrieb Lion ihm: „Ich halte die arbeiter frage gewiss für die interessanteste unsrer Zeit; und doch glaube Ich, das nur längs normalen weg, – ohne starke erschutterungen, dauerhafte besserungen zu erreichen sind."

Jürgen Herres, Berlin



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