Archiv für Sozialgeschichte
Rezension

Karl-Ernst Jeismann, Geschichte und Bildung. Beiträge zur Geschichtsdidaktik und zur Historischen Bildungsforschung, hrsg. und eingeleitet von Wolfgang Jacobmeyer und Bernd Schönemann, Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2000, XII, 412 S., kart., 88 DM.

Wer in den letzten drei Jahrzehnten sein wissenschaftliches Interesse der Geschichtsdidaktik oder der Historischen Bildungsforschung zuwandte, stieß bald auf Publikationen Karl-Ernst Jeismanns. Der ehemalige Gymnasiallehrer und Leiter eines Studienseminars blieb auch als Professor in Münster und Direktor des Georg-Eckert-Instituts für Internationale Schulbuchforschung in Braunschweig diesen lebensgeschichtlich geprägten wissenschaftlichen Schwerpunkten verbunden und trat in beiden Bereichen mit bedeutenden Arbeiten hervor. Hier ist vor allem an seine Geschichte des preußischen Gymnasiums im Zeitraum 1787-1859 zu erinnern, deren erster Teil 1971 als Habilitationsschrift vorlag und die 1996 mit dem voluminösen zweiten Band abgeschlossen wurde (vgl. Archiv für Sozialgeschichte 40, 2000, S. 565 f.). Neben diesem „Klassiker" weist Jeismanns Schriftenverzeichnis rund 150 weitere Publikationen aus. 18 in verschiedenen Zeitschriften und Sammelwerken veröffentlichte Aufsätze aus den Jahren 1965 bis 1984 wurden bereits zu seinem 60. Geburtstag neu herausgegeben (Karl-Ernst Jeismann, Geschichte als Horizont der Gegenwart, hrsg. von W. Jacobmeyer und E. Kosthorst, Paderborn 1985). Der nun zum 75. Geburtstag vorgelegte Band vereinigt 20 Beiträge aus den Jahren 1983 bis 2000, neun zur Geschichtsdidaktik (darunter drei Erstdrucke) und elf zur Historischen Bildungsforschung.

Eine wichtige Rolle in den Beiträgen zur Geschichtsdidaktik spielt der Begriff „Geschichtsbewusstsein", der in den 1970er Jahren von Jeismann und anderen als zentrale Kategorie der Geschichtsdidaktik postuliert, von manchen aber auch als zu abstrakt kritisiert wurde. Die Aufnahme und Ausdeutung dieses Begriffes führte zu einem Hinausgreifen der Didaktik über den schulischen Geschichtsunterricht hinaus, indem sie sich nun als „Wissenschaft von Aufbau und Wandel des Geschichtsbewusstseins in der Gesellschaft, den Ursachen, Normen und Funktionen dieses Prozesses" (S. 47) begriff – so Jeismann in einem hier erstmals gedruckten, die breite Diskussion zusammenfassenden Tagungsbeitrag von 1990. Welche Bedeutung bestimmte Geschichtsvorstellungen in der Gesellschaft erhalten können, zeigte 1986/87 der Historikerstreit über den geschichtlichen Ort und die moralische Bedeutung des Nationalsozialismus und der von ihm begangenen Verbrechen. Hierzu hat Jeismann sich mit dem Beitrag „Die deutsche Geschichte als Instrument im politischen Streit" (S. 147-158) zu Wort gemeldet. Besonders hervorgehoben seien daraus seine klärenden Darlegungen zur Funktion und Legitimität des historischen Vergleichs, der als „Methode im Erkenntnisprozess" dienen, aber auch als „Waffe im politischen Kampf" missbraucht werden kann (S. 154), welch letzteres gerade im Historikerstreit der Fall war. Jeismanns Beitrag zeigt beispielhaft, wie ein Wissenschaftlicher seine fachliche Kompetenz in den öffentlichen Diskurs einbringen und damit seiner politisch-gesellschaftlichen Verantwortung nachkommen kann und sollte.

In politischen Streit verwickelt wurde Jeismann schon vorher als Direktor des Georg-Eckert-Instituts (1978-1984). Den Stein des Anstoßes bildeten die vom Institut getragenen deutsch-polnischen Schulbuchkonferenzen, gegen deren Arbeit insbesondere einige Vertriebenenfunktionäre Sturm liefen. Ihre Versuche, die Arbeit des renommierten Instituts zu torpedieren, hat Jeismann in einer Rede zu dessen 10jährigem Bestehen 1985 zurückgewiesen und die der Verständigung zwischen den Völkern verpflichtete internationale Schulbuchforschung gegen die Indienstnahme der Geschichte für politische Legitimationsbedürfnisse verteidigt (Internationale Schulbuchforschung oder nationale Staatsräson? S. 285-302).

Neben solchen Beiträgen, die im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik angesiedelt sind, finden sich andere, die mehr akademischen Charakter haben wie etwa die Aufsätze zur Geschichte des preußischen Bildungswesens oder der bisher ungedruckte zur Professionalisierung der Gymnasiallehrer im 19. Jahrhundert (S. 327-345). Bei näherem Hinsehen machen aber auch sie deutlich, wie wichtig eine an rationalen Kriterien orientierte Auseinandersetzung mit der Geschichte für das Verständnis der Gegenwart ist. Zu diesem für eine Gesellschaft unverzichtbaren Vermittlungsprozess haben Jeismanns Arbeiten maßgebend beigetragen.

Rainer Bölling, Düsseldorf



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