Archiv für Sozialgeschichte
Rezension

Holger Martens, Die Geschichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Schleswig-Holstein 1945 bis 1959, Schleswig-Holsteinischer Geschichtsverlag, Malente 1998, 2 Bde., 704 S., Paperback, 58 DM.

Die Arbeit von Martens gehört in die wachsende Reihe der wissenschaftlichen Studien über die Geschichte der SPD in den einzelnen westdeutschen Bundesländern (z.B. zuletzt die von Walter Tormin über die Hamburger SPD 1945-1950 und von Dieter Düding über die SPD-Landtagsfraktion Nordrhein-Westfalen). Der erhebliche Umfang und die sehr detailreiche Darstellung erklären sich daraus, dass die Arbeit 1997 als Dissertation an der Universität Kiel angenommen wurde.

Das Schwergewicht des ersten Bandes liegt auf der Betrachtung der organisatorischen Fragen, das des zweiten auf der Darstellung und Analyse der Politik der Partei bis 1959. Nach einem kurzen Blick auf die Traditionen der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung in Schleswig-Holstein schildert Martens ausführlich das Wiedererwachen der sozialdemokratischen Bewegung nach dem Einmarsch der alliierten Truppen. Wie in den anderen Bundesländern kamen anfangs ehemalige SPD-Mitglieder örtlich getrennt zusammen, um sich über Fragen eines Neuaufbaus der Partei oder der Gründung einer einheitlichen Arbeiterpartei auszutauschen. Auch in Schleswig-Holstein waren die Antifaschistischen Ausschüsse nur von kurzer Dauer. Das Scheitern aller Einheitsverhandlungen war spätestens im August 1945 deutlich, nachdem ein Treffen des in Kiel, dem Sitz des letzten Bezirksvorstands vor 1933, gebildeten, selbsternannten vorläufigen Bezirksvorstands mit Kurt Schumacher stattgefunden hatte und auch die KPD den Aufbau einer eigenen Partei vorantrieb. Das Zulassungsverfahren der Besatzungsmacht schrieb die weiteren formalen Schritte vor. Erst im März 1946 konnte der erste Parteitag des Bezirks stattfinden, dessen Grenzen schließlich mit dem neugebildeten Land zusammenfielen und so mit Lübeck auch einen kleinen Teil des früheren SPD-Bezirks Mecklenburg-Lübeck umfasste. Ein Problem, das die Parteiarbeit in Schleswig-Holstein von der in allen anderen Bezirken unterschied, war die Südschleswig-Frage. Martens zeigt eingehend die Kette von Kommunikationsproblemen, Missverständnissen und Fehlleistungen, die 1946 zum Ausschluss der Flensburger SPD führten. Dort beanspruchte eine Mehrheit die Freiheit, sich für eine Zugehörigkeit Südschleswigs zu Dänemark entscheiden zu dürfen. Dieser Bruch wurde erst 1954 wieder überwunden.

Die Entwicklung der Partei bis 1948 bezeichnet Martens, nach organisatorischen Maßstäben betrachtet, wohl zu Recht als beeindruckend. Ein Netz festangestellter Parteisekretäre wurde aufgebaut, Kultur- und Bildungsarbeit geleistet, Kinder- und Jugendgruppen gebildet, Schlüsselposten von Oberbürgermeistern und Landräten besetzt. Mit 90.000 Mitgliedern war Schleswig-Holstein der zweitstärkste SPD-Bezirk in Westdeutschland. In den ersten Nachkriegsjahren fand auch eine soziale Öffnung für Parteilose, frühere Mitglieder der bürgerlichen Parteien der Weimarer Republik, ehemalige Kommunisten und selbst für Gründungsmitglieder der CDU statt. Der bekannte Zustrom von Flüchtlingen und Vertriebenen nach Schleswig-Holstein leistete ebenfalls seinen Beitrag zu einer neuen Durchmischung der Mitgliedschaft. In gewisser Weise betritt Martens Neuland mit der Herausarbeitung der Tatsache, dass die Währungsreform einschneidende Wirkung für die Parteiarbeit hatte. Als die reichlich vorhandene Reichsmark abgeschafft war und die Konkurrenzwirtschaft begann, brachen die Mitgliederzahlen ein, der Parteiapparat war in der bisherigen Form nicht mehr zu finanzieren, und die Partei geriet in eine Organisationskrise. Unter anderem war die Wiedereinführung von Unterbezirken 1949 eine Maßnahme zur Kostensenkung. Zu den Mitgliederverlusten, die auch 1959 noch anhielten, trugen in Schleswig-Holstein außerdem die Umsiedlung von Parteimitgliedern aus Kreisen der Flüchtlinge und Vertriebenen in andere Bundesländer und die Gründung einer besonderen Flüchtlingspartei bei. Gerade die Vertreter des traditionellen sozialdemokratischen Milieus blieben in der Partei, während die Verluste unter den „neuen" Mitgliedern überproportional hoch waren.

Mit der Währungsreform begann so für die schleswig-holsteinische SPD eine in den 1950er Jahren anhaltende Stagnation. Bei Funktions- und Mandatsträgern gab es nur wenig Wechsel. Die Stagnation der Organisation dürfte mit ein Grund dafür gewesen sein, dass der politische Erfolg der Partei ebenfalls den Rücken kehrte.

Bei den Kommunalwahlen 1946 und den Landtagswahlen 1947 hatten die Sozialdemokraten von der Desorganisation und Desorientierung der bürgerlichen Kräfte profitieren können und von der Hoffnung eines Teils der Vertriebenen und Flüchtlinge, dass es der SPD gelingen werde, ihr Los schnell und entscheidend zu verbessern. Der Stimmenanteil der SPD lag deutlich über dem der letzten Weimarer Wahlen. Mit dem Ministerpräsidenten Hermann Lüdemann konnte die SPD 1947 die erste sozialdemokratische Alleinregierung im Nachkriegsdeutschland bilden. Die Probleme des Landes, besonders verschärft durch den Flüchtlingszustrom, waren für diese Regierung aber allein nicht zu bewältigen, und die Konzepte Lüdemanns für die Schwerpunkte Länderneugliederung, Flüchtlingsumsiedlung, Wirtschaftsförderung und Schulreform fanden nicht einmal in der SPD uneingeschränkte Unterstützung. Manche wichtige Vorhaben wie die Bodenreform wurden in ihrer Umsetzung von der Besatzungsmacht verhindert. Erschwerend kam hinzu, dass die politisch stärkste Persönlichkeit der SPD im Land, der Kieler Oberbürgermeister Andreas Gayk, zwar bereit war, den Vorsitz der Landtagsfraktion (bis 1950) und den Bezirksvorsitz zu übernehmen, aber nicht Ministerpräsident werden wollte und immer ein zweites Gravitationszentrum neben dem Ministerpräsidenten darstellte. So setzte Gayk 1949 die Ablösung Lüdemanns durch Bruno Diekmann durch. Zum anderen wurde Erich Arp, ein „politischer Querdenker" und potenzieller Parteierneuerer, aus der Partei gedrängt.

In der Bundestagswahl 1949 erreichte die SPD in Schleswig-Holstein im Vergleich zu den anderen Ländern ein besonders schlechtes Ergebnis, und 1950 folgte nach der Landtagswahl der Gang in die Opposition. Auch in den folgenden Jahren gelang es der SPD nicht, politische Neuansätze zu entwickeln, die einen Regierungswechsel ermöglicht hätten. Der als Oberbürgermeister äußerst tatkräftige, autoritäre Gayk war in der politischen Vorstellungswelt der Weimarer Republik verhaftet und nicht der richtige Mann, einen Erneuerungsprozess einzuleiten. Auch nach seinem Tod 1954 gab es unter Führung von Wilhelm Käber als Oppositionsführer im Landtag und Walter Damm als Bezirksvorsitzendem keine grundlegenden Änderungen in der politischen Ausrichtung der Partei. Charismatische Fähigkeiten fehlten ihnen. Das neue („Godesberger") Parteiprogramm wurde kaum diskutiert, während es dem jungen Jochen Steffen nicht radikal genug war. Trotzdem zeigten die Wahlergebnisse nach dem Tief 1949/1950 in den 1950er Jahren einen langsamen Aufwärtstrend. 1959, zum Ende von Martens’ Berichtszeitraum, gab es bei der Kommunalwahl mit der Rückeroberung der Rathausmehrheiten in Kiel und Neumünster erste Erfolge. Auf einen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten musste die schleswig-holsteinische SPD dann aber noch fast dreißig lange Jahre bis 1988 warten.

Als Quellenbasis hat Martens für seine solide Arbeit nicht nur alle in Frage kommenden regionalen und überregionalen deutschen Archive einschließlich der Bestände des ehemaligen Parteiarchivs der SED herangezogen und auf Quellensammlungen in Privatbesitz zurückgegriffen, sondern er hat auch in Dänemark liegende Archivalien sowie Unterlagen der britischen Besatzungsmacht im Londoner Public Record Office ausgewertet. Dadurch werden interessante Einschätzungen und Beobachtungen des deutschen politischen Lebens aus einer externen Sicht erkennbar und es finden sich Hinweise, wie man die deutschen Quellen vielleicht auch anders lesen und interpretieren kann als es auf den ersten Blick erscheint. Fotos lockern die Textmasse auf, und Kurzbiographien für ca. 160 erwähnte Personen erhöhen den Nutzen des Buches.

Christoph Stamm, Bonn



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