Archiv für Sozialgeschichte
Rezension

Maria-Theresia Schwarz, „Je weniger Afrika, desto besser". Die deutsche Kolonialkritik am Ende des 19. Jahrhunderts, Verlag Peter Lang, Frankfurt am Main etc. 1999, 402 S., brosch., 98 DM.

„Je weniger Afrika, desto besser" - mit diesem markanten Zitat von Ludwig Bamberger betitelt Maria-Theresia Schwarz ihre Dissertation zur deutschen Kolonialkritik während des Kaiserreichs. Sie greift damit ein Thema auf, dass seit der überzeugenden Studie von Hans-Christoph Schröder über das Verhältnis von Sozialdemokratie und Imperialismus (1968) weitgehend brach liegt. Das Interesse der deutschen Geschichtswissenschaft an den ehemaligen Kolonien lebt erst seit einigen Jahren wieder auf, beispielsweise durch Arbeiten von Hermann Josef Hiery, Andreas Eckert und Gesine Krüger. so dass sich die Studie von Schwarz einer Forschungstendenz zuordnen lässt, die insbesondere im Bereich der Qualifikationsarbeiten anzuhalten scheint.

Schwarz bearbeitet ihr Thema überwiegend anhand von Parlamentsprotokollen und einschlägigen Presseberichten. Sie hat umfassend und detailreich recherchiert und kann daher eine empirisch gesättigte Untersuchung vorlegen. Im Zentrum steht die Frage nach den Gründen und Argumenten kolonialkritischer Stellungnahmen, konkret die Positionen der Linksliberalen und der Sozialdemokratie. Schwarz zeichnet für jede der Parteien die jeweiligen Argumentationslinien zwischen 1879 und 1899 nach, angefangen bei der Postdampfersubventionsvorlage 1884/85 über die Debatte anlässlich des ostafrikanischen Aufstands bis hin zu den parlamentarischen Auseinandersetzungen über den Helgoland-Sansibar-Vertrag von 1890 unter der Kanzlerschaft Caprivis. Abschließend nimmt die Autorin jeweils die Kolonialskandale zwischen 1894 und 1897 und den Beginn weltpolitischen Denkens unter Hohenlohe in den Blick. Liegt der Schwerpunkt auch deutlich auf den Kontroversen um Bismarcks Kolonialpolitik, so zeichnet Schwarz doch eine sich über zwanzig Jahre erstreckende Debatte über die damals wohl wichtigste Nebensache der parlamentarischen Welt nach.

Die Argumente der Kolonialgegner, Kritiker und Skeptiker lassen sich mit einigen Stichworten skizzieren: Gefährdung des Freihandels, Steuerbelastung und Verschwendung, wirtschaftliche Ineffektivität, kultur- und zivilisationskritische Einwände, Kapitalismuskritik bis hin zu ethisch-religiösen Bedenken gegenüber den indigenen Bevölkerungen. Linksliberale und Sozialdemokraten greifen diese Argumente mit unterschiedlicher Intensität und zu jeweils unterschiedlichen Anlässen auf und instrumentalisieren sie in der Regel innenpolitisch. Die Kolonialfrage war ein parlamentarisches Konfliktfeld, das im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts immer wieder Anlass zur politischen Generalabrechnung mit der konservativen Regierung bot.

Schwarz hat ihre Untersuchung ungünstig gegliedert. Da sie die Arbeit nicht nach inhaltlichen Argumenten, sondern entlang der Parteigrenzen strukturiert und mit zahlreichen und häufig recht langen Paraphrasierungen und Zitaten operiert, die Kolonialkritiker jedoch einen eher begrenzten Fundus an Argumenten vorzubringen wussten, ist der Leser mit zahlreichen Redundanzen konfrontiert, die bei mehr als dreihundert Textseiten ermüden. Die von der Autorin dadurch angestrebte Homogenität der Darstellung (S. 20) erweist sich als kontraproduktiv. Schwarz gelingt es zudem nicht, ihre Untersuchung über eine deskriptive Darstellung der parlamentarischen Reden hinauszuführen, es fehlt ein analytischer Zugriff, durch den sich das Material auch anders sortiert hätte. Beispielsweise konstatiert Schwarz mehrfach die Diskrepanz zwischen dem sendungsideologischen Anspruch des Zivilisationsexports und der „erschreckend anders gelagerten Realität" (S. 286). Inwiefern diese Diskrepanz im zivilisatorischen Prozess an sich und seiner Janusköpfigkeit begründet liegt, also weniger ein Problem von Theorie und Praxis ist, reflektiert die Autorin nicht. Diese Oberflächlichkeit korrespondiert mit einer Wissenschaftsauffassung, die mehr als befremdlich ist. Wenn Schwarz hinsichtlich der sozialdemokratischen und linksliberalen Positionen betont, dass „der Historiker die Realität nachzeichnen (muss)", er versuchen solle, „sie zu verstehen" und sie „nicht politisch korrekt einfärben" dürfe, „auch wenn es so schöner wäre" (S. 311), dann zeigt sich eine theoretische und methodische Naivität, die hinter das durchschnittliche Reflexionsniveau von Dissertationen zurückfällt.

Ulrike Jureit, Hamburg



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