Archiv für Sozialgeschichte
Rezension

Ludwig Eiber, Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Hansestadt Hamburg in den Jahren 1929-1939. Werftarbeiter, Hafenarbeiter und Seeleute: Konformität, Opposition, Widerstand, Verlag Peter Lang, Frankfurt/Main etc. 2000, 815 S., brosch., 148 DM.

In den letzten Jahren stand die Geschichte der Arbeiter und der Arbeiterbewegung nicht mehr im Zentrum der historischen Forschung. Es schien, als sei der Gegenstand methodisch wie thematisch weitgehend ab- bzw. aufgearbeitet worden. Ludwig Eiber hat nun in seiner Habilitationsschrift auf eine ebenso umfängliche wie gehaltvolle Weise gezeigt, dass die Arbeitergeschichte noch keineswegs am Ende ihrer Möglichkeiten angelangt ist, obwohl – oder weil – er sich des Hantierens mit Versatzstücken aus dem kulturalistisch-postmodernen Theoriebaukasten der neueren sozialhistorischen Debatten weitgehend enthält.

Eiber nutzt in seiner Darstellung zur Geschichte der Hamburger Arbeiter und Arbeiterbewegung zwischen 1929 und 1939 im Wesentlichen zwei Umstände, die neue Perspektiven für die Arbeitergeschichte bereitstellen können. Hinsichtlich der Quellenlage sind bekanntlich seit 1990 durch die Öffnung von Archivbeständen vor allem in der ehemaligen DDR eine Fülle von Materialien zugänglich geworden, die das Wissen über Kontinuitäten und Brüche um 1933, über das Fortwirken der Arbeiterbewegung im Untergrund wie die Entwicklung des organisierten Widerstandes gegen den Nationalsozialismus erheblich erweitern halfen. Neben diesem Material, das von ihm zur Untersuchung der Hamburger Verhältnisse auf umfassende Weise ausgewertet wurde, ist ein methodischer Aspekt anzuführen, der ebenfalls die Perspektiven zu öffnen vermag: Jede Geschichte über Arbeiter im Nationalsozialismus muss ihren Gegenstand wegen des Verbotes, der Unterdrückung und Verfolgung von Organisationen der Arbeiterbewegung auf besondere Weise reflektieren, ihn jenseits und diesseits von Organisationsgeschichte, zwischen Exil und DAF, zwischen Opfern und Mittätern immer wieder von Neuem verorten.

Auf diese Herausforderungen gibt Eiber zwei Antworten: Er verfolgt auf der einen Seite die Kontinuitäten, die von der Arbeiterbewegung in den organisierten Widerstand führen, auf der anderen Seite erweitert er aber auch den Gegenstand und löst sich streckenweise von der Fixierung auf Organisationen, so dass ihm seine Arbeit über manche Strecken zu einer Sozialgeschichte nicht nur der Arbeiter, sondern der Hamburger Bevölkerung in den 1930er Jahren insgesamt gerät.

In einem ersten, struktur- und organisationsgeschichtlich orientierten Teil geht es um die wirtschaftliche Lage in der Hansestadt Hamburg zwischen der Weltwirtschaftskrise und dem Beginn des Zweiten Weltkrieges. Diese Konjunkturverläufe werden hinsichtlich des Einkommens, der Arbeitslosigkeit und der Wohnsituationen an die Lage der Arbeiter zurückgebunden. Insbesondere finden die ambivalenten Folgen der Rüstungskonjunktur für Hamburgs Wirtschaft wie für die Arbeiter einen angemessenen Raum: Von der Rüstungskonjunktur profitierte vor allem die Metallindustrie, in Hamburg hauptsächlich der Schiffbau, während die regionale Wirtschaft in anderen wichtigen Bereichen, nämlich Handel, Verkehr und Hafen, in Folge der Autarkiepolitik stagnierte – mit allen negativen Folgen für die dort Beschäftigten.

In einem weiteren Abschnitt beschreibt Eiber die politische Situation in Hamburg und skizziert die Wege zur „Gleichschaltung". Hinsichtlich der politischen Partizipation operiert er hier mit einer erweiterten Vorstellung von Arbeiterklasse, die zwischen Wahlentscheidung, Mitgliedschaft in Organisationen und sozialkultureller Verortung angesiedelt ist. Ausdrücklich verweist er darauf, dass die Mehrzahl der Arbeiter in Hamburg – rechnet man die „häuslichen Dienste" in vollem Umfang ein – Arbeiterinnen waren (S. 56). Im Zusammenhang mit der Gegenstandsbestimmung kommen auch die Defizite der Arbeiterbewegung zur Sprache, etwa die Geschlossenheit des Milieus oder die Nähe zu und Fixierung auf den Staat (S. 112ff.). Ebenso findet ein besonderer Aspekt der Hamburger Verhältnisse eine angemessene Darstellung: Die Arbeiter an der „Waterfront" pflegten häufig ein lockeres Verhältnis zu sozialdemokratisch orientierten Organisationen und wandten sich stattdessen syndikalistischen wie kommunistischen Gruppierungen zu. Zu Beginn der Dreißigerjahre befand sich dank des – relativ – mitgliederstarken „Einheitsverbands der Seeleute, Hafenarbeiter und Binnenschiffer" ein Zentrum der „Revolutionären Gewerkschaftsopposition" der KPD in der Hansestadt.

Im zweiten Teil der Arbeit werden in vier Abschnitten – wie es der Untertitel ankündigt – politische Einstellungen und Verhaltensweisen von Arbeitern in Hamburg thematisiert, vor allem am Beispiel der Großwerft Blohm & Voss. Eiber konstatiert eine „deutliche antifaschistische Grundhaltung" ( S. 437), die sich bis etwa 1936 auch in vereinzelten Verweigerungs- und Protestaktionen geäußert habe. Nach der relativen Stabilisierung des Regimes um 1936, nach den Verhaftungen von politisch aktiven Arbeitern und ihrer allmählichen strukturellen Isolierung in Betrieb und Gesellschaft sei jedoch die Hoffnung verschwunden, die politischen Verhältnisse von innen heraus zu ändern. Unter den verbleibenden Möglichkeiten politischer Betätigung kam dem Empfang ausländischer Rundfunksendungen (insbesondere von Radio Moskau), eine besondere Bedeutung zu. Hier liegt die Vermutung nahe, dass in vielen Fällen die Hörergemeinschaften aus Gruppen bestanden, die sich zuvor als Zellen der KPD konstituiert hatten und nun eine unauffälligere, informellere Form der „Organisation" wählten. In einem dritten Teil knüpft Eiber chronologisch an die Arbeiten von Michael Grüttner und Klaus Weinhauer über die Hamburger Hafenarbeiter an. Der Bedeutungsverlust, den die Hafenwirtschaft durch die Autarkiepolitik erlitt, hatte unmittelbare Auswirkungen auf die Lage der Hafenarbeiter. Die Löhne blieben niedrig und die Hafenbetriebe standen unter staatlicher Kontrolle, was den Einfluss der NS-Organisationen verbreiterte. Dennoch geht Eiber davon aus, dass sich die „antifaschistische Grundhaltung" auch unter den Hafenarbeitern stabilisiert habe (S. 622).

Einer der interessantesten Abschnitte des Buchs befindet sich am Schluss. Hier geht es um die Lage der seemännischen Arbeiter in den Dreißigerjahren, über die - abgesehen von ganz wenigen punktuellen Untersuchungen aus der Bundesrepublik und der DDR - bislang kaum Arbeiten vorliegen. Zwar blendet Eiber die spezifische kulturelle Dimension und die Heterogenität dieser „Gruppe des Proletariats" (S. 624), wie es etwas verkürzt heißt, weitgehend aus. Dies ist jedoch angesichts der bislang fehlenden Studien über die Organisationen des politischen Widerstands kein Mangel. Immerhin liegt nun eine Darstellung vor, in der die komplizierten Verhältnisse zwischen den kommunistischen Seeleutegruppen und der „Internationalen Transportarbeitergewerkschaft" erläutert, die konkreten Handlungsspielräume der Aktivisten in ihrem stets bedrohten ausländischen Asyl analysiert und die Verfolgungspraxen der NS-Agenturen sichtbar werden. Mit einigen Beispielen geht Ludwig Eiber auch auf den sozialhistorischen Hintergrund des Widerstandes der Seeleute ein, der als „komplexes Muster von Beziehungsgeflechten, Verhaltensweisen und Aktionsmöglichkeiten" ( S. 658) umrissen wird.

Mit einem kritischen Beitrag zur Diskussion über den Widerstandsbegriff endet die Untersuchung. Ludwig Eiber plädiert dafür, widerständige Verhaltensweise unter dem Oberbegriff „Opposition" zu fassen. Er versteht zwar die Arbeiteropposition als „quasigewerkschaftliche soziale Interessenvertretung", belässt es jedoch nicht bei dieser Einschätzung, sondern löst schließlich in einem bemerkenswerten Plädoyer den Widerstandsbegriff von organisationsorientierten Ausprägungen, indem er konstatiert: „...individuelle Ausübung und Verteidigung der unabdingbaren Menschenrechte muß als legitime Form von Opposition gegen das Unrechtsregime gewertet werden" (S. 740).

Thomas Siemon, Wilhelmshaven



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