Archiv für Sozialgeschichte
Rezension

Hans-Wilhelm Eckert, Konservative Revolution in Frankreich? Die Nonkonformisten der „Jeune Droite" und des „Ordre Nouveau" in der Krise der 30er Jahre, R. Oldenbourg Verlag, München 2000, 267 S., brosch., 78 DM.

Die Arbeit geht der Frage nach, ob sich der Begriff "Konservative Revolution" auf die französischen Verhältnisse der Zwischenkriegszeit sinnvoll übertragen läss. 1949 durch Armin Mohler als "radikalste Antwort auf die Ideen der Französischen Revolution" lanciert, hat er inzwischen eine glänzende Karriere in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung um die Vorgeschichte des Nationalsozialismus hinter sich. Bis zuletzt sind zahllose Studien entstanden, die sich auf das Konzept beziehen. Ohne dass heute ein umfassender Konsens über dessen Gehalt und Reichweite bestünde, hat es sich doch weitgehend als Sammelbezeichnung für die antidemokratische radikale Rechte (oder zumindest für Teile von ihr) in der Weimarer Republik eingebürgert. Hans-Wilhelm Eckert lehnt sich eng an Überlegungen Stefan Breuers an, der den ideologischen Kernbestand der Konservativen Revolution im "neuen Nationalismus" sieht. Anders jedoch als Kurt Sontheimer, auf dessen Klassiker "Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik" der Ausdruck zurückgeht, meint Breuer damit nicht etwas spezifisch Deutsches, sondern ein Phänomen, das länderübergreifende Vergleichsmöglichkeiten eröffnet.

Auf der Folie solcher Vorarbeiten zur Konservativen Revolution, aber auch der gewichtigen Beiträge Andreas Wirschings zum politischen Extremismus in Berlin und Paris, präsentiert die vorliegende Untersuchung zwei der bekanntesten Gruppierungen der sogenannten Nonkonformisten der Dreißgerjahre, zum einen „Jeune Droite", zum anderen „Ordre Nouveau". Die Fallstudie verzichtet damit auf den germanozentrischen Blick und betritt wissenschaftliches Neuland, auch wenn bereits andere, zuletzt vor allem Hans Manfred Bock, auf ideologische Analogien und persönliche Kontakte zwischen Konservativen Revolutionären und Nonkonformisten aufmerksam gemacht haben. Als Dissertation aus dem Trierer Graduiertenkolleg "Westeuropa in vergleichender historischer Perspektive" hervorgegangen, beruht die Studie im Wesentlichen auf der Auswertung einschlägiger Zeitschriften, zeitgenössischer Literatur und Memoiren der Protagonisten sowie unveröffentlichter Quellenbestände und Privatnachlässe aus deutschen und französischen Archiven.

Dass der Vergleich ein ebenso fruchtbares wie schwieriges Unterfangen sein kann, war dem Autor durchaus bewusst. Erste methodische Probleme werfen schon die ungleichzeitigen Hochphasen der Agitation auf: Während die Konservative Revolution unmittelbar nach der Niederlage erste Höhepunkte verzeichnete, dann wieder Anfang der Dreißigerjahre, standen den Nonkonformisten zu diesem Zeitpunkt die entscheidenen Protestwellen und -aktionen noch bevor. Hinzu kommen heikle Abgrenzungsfragen. Eckert sieht bedeutende Unterschiede seiner deutschen wie französischen Vordenker zu den Nationalsozialisten in der Ablehnung biologistischer Rassenlehren, zu den Faschisten im Fehlen einer Organisationsstruktur über informelle Zirkel hinaus sowie im geringeren Grad an Radikalisierung und Gewaltbereitschaft. Wesentlich häufiger als bislang angenommen kam es allerdings zu Grenzüberschreitungen von „Jeune Droite"- oder „Ordre Nouveau"-Anhängern auf der Suche nach Verbündeten "in den Kreisen extremistischer Ligen und Sammlungsbewegungen" (156).

Die Ausführungen gliedern sich in fünf Kapitel, die das chronologische Nachzeichnen der Ereignisse samt nonkonformistischer Reaktionen mit eher strukturgeschichtlichen Abschnitten verbinden. Als interpretatorisch zentral erweist sich das erste Kapitel, das nicht nur "die Rahmenbedingungen genauer absteckt" (11), sondern mehr noch Schlüssel zum Verständnis der folgenden ideengeschichtlichen Darlegungen liefert. Deutlich wird zweierlei: einmal, wie tief verankert der Nonkonformismus in der französischen Hochschultradition und Intellektuellenkultur war; zum anderen, dass es sich anders als bei der Konservativen Revolution nicht um ein generationenübergreifendes, sondern um ein generationenspezifisches Phänomen handelte, das besonders die Altersklassen 1900 bis 1910 betraf (33f.). Gerade sie, die Schützengräben nicht mehr aus eigener Erfahrung kannten, taten sich schwer mit dem vorherrschenden Frontkämpferdiskurs und den Poilus als unbestrittene Helden der Nation. Vor allem aber sahen sie im Ersten Weltkrieg die Wurzel verschärfter französischer Dekadenz und Schwäche, wie sie ihres Erachtens seit den 1930er Jahren auf allen Ebenen zutage treten sollten.

In einigen grundsätzlichen Kritikpunkten lagen „Jeune Droite" und „Ordre Nouveau" auf einer Linie. Sie konstatierten Verfallserscheinungen der abendländischen Kultur und Auswüchse einer technizistischen Industriegesellschaft, brandmarkten gleichermaßen die kapitalistische Wirtschaftsordnung, das republikanische Regierungssystem und das bürgerliche Gesellschaftsmodell (90). Dennoch verorteten sie sich in verschiedenen Traditionen und setzten andere Akzente. Trotz ähnlicher Diagnosen lagen ihre Lösungsvorschläge vielfach weit voneinander entfernt oder waren sogar - wie in der Außen- und Deutschlandpolitik - diametral entgegengesetzt. Der Sorge um einen wiedererstarkenden östlichen Nachbarn begegnete „Jeune Droite" mit antideutschen Parolen und Forderungen nach Wiederbelebung einer kompromisslosen Politik der harten Hand, „Ordre Nouveau" dagegen mit fortgesetzter Dialogbereitschaft und Plänen, einem föderalistisch organisierten Europa auf der Basis von Regionen den Weg zu bahnen (121). Kaum weniger gegensätzlich fielen die wirtschaftspolitischen wie politisch-systemischen Zukunftsentwürfe aus, sobald es um deren konkrete Ausgestaltung ging und nicht nur um allgemeines Ablehnen des Bestehenden.

Feindbild und Hauptgegner war und blieb der bürgerliche Liberalismus. Dies vermochte die antikommunistische Agitation nur kurzzeitig, besonders während der Volksfrontjahre, zu überdecken. Aus nonkonformistischer Sicht handelte es sich um einen Kontrahenten, der über kurz oder lang ohnehin vor dem Aus stand. Ihn endgültig zu beseitigen, bedurfte daher gar keiner radikalen Methoden oder besonderen organisatorischen Anstrengungen. Das Bild, das Eckert vom Frankreich der Zwischenkriegsjahre zeichnet, bestätigt Andreas Wirschings Einschätzungen zur extremen Linken und extremen Rechten in Berlin und Paris. Seiner 1999 veröffentlichten Habilitationsschrift zufolge war der politische Extremismus in der französischen Hauptstadt ungeachtet allen revolutionären Gehabes im Vergleich weniger ideologisiert und gewaltbereit, stärker republikanischen Mustern und konfliktorientierten politisch-kulturellen Praktiken verhaftet.

Angesichts gewaltiger deutsch-französischer Divergenzen überrascht fast, was Eckert überhaupt an Berührungspunkten in Sozialisation und Gruppenbildung, in Ideologien und Argumentationsmustern herauszufiltern vermag. Gemeinsamer ideologischer Kernbestand von Nonkonformismus und Konservativer Revolution sei, und damit nimmt er Breuers Denkfigur wieder auf, der "neue Nationalismus", der sich "durch seine Dynamik, seinen Voluntarismus, den Appell an die irrationalen Triebkräfte der Revolution" von anderen Ausprägungen des Nationalismus abgehoben habe. Die Strömungen darauf reduzieren zu wollen, wäre freilich unangemessen, wie er einschränkend selbst betont (233). Und tatsächlich gilt es immer wieder auf die autochthonen Ursprünge und Rahmenbedingungen zu verweisen, auf den genuin nationalen Charakter oder auch auf die Prägekraft kurzfristiger Faktoren wie der Versailler Friedensordnung. Wie sonst ließe sich der breite Graben erklären zwischen den expansionistischen Großmachtutopien konservativer Revolutionäre auf der einen Seite, dem saturiert-defensiven Grandeurdenken nonkonformistischer Kreise auf der anderen?

Am Ende bleibt festzuhalten, dass der Übertragbarkeit des Konzepts "Konservative Revolution" auf Frankreich doch enge Grenzen gesteckt sind. Eckerts Buch steht auch für die Schwierigkeiten einer vergleichenden Sozialgeschichte der Ideen, über den Kern inhaltlicher Geistesverwandtschaften hinaus zu weiterreichenden Schlussfolgerungen zu gelangen. Vielleicht liegt sein besonderes Verdienst gerade darin, dies am konkreten Fallbeispiel veranschaulicht und systematisiert zu haben. Zu bedauern ist lediglich, dass weder die bilanzierenden Abschnitte der Hauptkapitel noch die Schlussbetrachtung die Ergebnisse der Studie in einen weiten Interpretationsrahmen einordnen oder an die einleitend dargelegten Forschungskontexte rückbindet.

Dietmar Hüser, Saarbrücken



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