Archiv für Sozialgeschichte
Rezension

Fritz-Bauer-Institut (Hrsg.), »Beseitigung des jüdischen Einflusses...«. Antisemitische Forschung, Eliten und Karrieren im Nationalsozialismus (= Jahrbuch 1998/99 zur Geschichte und Wirkung des Holocaust), Campus Verlag, Frankfurt/Main 1999, 303 S., kart., 48 DM.

Das Frankfurter Fritz-Bauer-Institut hat mit diesem »Jahrbuch« eine Anzahl von Aufsätzen herausgegeben, die überwiegend nicht von Angehörigen des Instituts verfasst wurden und auch nicht aus einer Tagung des Fritz-Bauer-Instituts hervorgegangen sind. In der (von Andreas R. Hofmann verfassten) knappen Einleitung heißt es zu den Zielen und Inhalten des Sammelbandes dann auch vage, dass mit der »Konzentration auf Berufsgruppen und ihre Institutionen« beabsichtigt sei, »möglicherweise einen forschungskonzeptionellen Ansatz« zu liefern, »der für die Ursachen- und Motivforschung fruchtbar gemacht werden soll«. Was damit gemeint ist und wer damit angesprochen werden soll, wird leider nicht gesagt. Ebenfalls verschwiegen wird die sich aufdrängende Frage, ob und wenn ja, wie sich dieses Institut »zur Geschichte und Wirkung des Holocaust« mit den in den einzelnen Aufsätzen angeschnittenen Problemen beschäftigen wird. Anregungen und Anstöße dazu liefern verschiedene der insgesamt recht heterogenen Aufsätze auf jeden Fall.

Patricia v. Papen gibt einen Überblick über die »Judenforschungen« des »Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands«. Peter Sandner beschäftigt sich mit dem Frankfurter »Universitätsinstitut für Erbbiologie und Rassenhygiene«, das eine wichtige Rolle sowohl bei der Verfolgung der Behinderten als auch der Juden, Sinti und Roma spielte. Irmtrud Wojak greift ein Spezialthema auf: das Schicksal der »jüdischen Skelettsammlung« am Anatomischen Institut der »Reichsuniversität« Straßburg und der gegen die dafür Verantwortlichen geführten Prozesse. Mit einer ähnlich makaberen Geschichte, die ebenfalls in die Gegenwart führt, beschäftigt sich Felicitas Heimann-Jelinek, nämlich mit den Masken, die von Juden abgenommen wurden, die danach in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert wurden. Diese Masken lagerten mehr oder minder unbeachtet im Naturhistorischen Museum Wien. Erst vor wenigen Jahren wurden sie in einer Ausstellung gezeigt, die 1999 auch in die Gedenkstätte Buchenwald kam. Susanne Heschel schließlich steuert eine Studie über den Theologen Walter Grundmann und das Eisenacher »Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses« bei.

Nach diesen Arbeiten über einzelne Institute folgen einige über, wie es in der Zwischenüberschrift heißt, »Eliten und Karrieren«. Das ist nicht ganz zutreffend. Tatsächlich beschäftigt sich Birgit Gregor am Beispiel der Rezeption der judenfeindlichen Schriften Luthers mit dem protestantischen Antisemitismus. Gestützt auf eigene frühere Studien äußert sich Michael H. Kater über NS-Ärzte als »Handlanger des Holocaust«, wobei er einige unnötige Seitenhiebe in die Richtung von Ernst Klee austeilt. Und Joachim Perels arbeitet in einem knappen, aber aussagefähigen Artikel heraus, dass und wie gewisse antisemitische Ressentiments auch in die Begründungen von Urteilen gegen NS-Täter im Allgemeinen, NS-Richter im Besonderen, eingegangen sind.

Eine besondere Bedeutung hat der Aufsatz von Hans Mommsen über die »Stellung der Militäropposition im Rahmen der deutschen Widerstandsbewegung im Dritten Reich«. Unter diesem allgemein gehaltenen Titel arbeitet er einmal heraus, dass die Militäropposition keineswegs als verlängerter Arm des zivilen Widerstandes gesehen werden darf. Zweitens, dass zwischen Beck und Oster auf der einen und den jüngeren Offizieren in der Heeresgruppe Mitte (Tresckow, Schlabrendorff, Hardenberg, Kleist etc.) auf der anderen Seite unterschieden werden muss. Drittens betont Mommsen, dass es diesen Offizieren primär um die Erhaltung der Armee und eine effizientere Kriegsführung ging, was zwar Kritik mit einschloss, nicht jedoch den Antisemitismus der Staatsführung und kaum den rassistisch motivierten Judenmord. Unter Hinweis auf die Dissertation von Christian Gerlach betont Mommsen darüber hinaus, dass z.B. von Gersdorff und von Tresckow mit der »Antipartisanenaktion [...] wiederholt unmittelbar befasst« waren und »dass prominente Mitglieder des militärischen Widerstandes, darunter Karl Heinrich von Stülpnagel und Generalquartiermeister Eduard Wagner, die Judenvernichtung aktiv unterstützt haben oder an der Ausarbeitung des Komplexes der verbrecherischen Befehle beteiligt gewesen sind«. Aus alldem, das in diesem Umfang und in dieser Schärfe bisher nicht bekannt war, zieht er folgendes Resumee: »In der Sache führt daher kein Weg daran vorbei, sich einzugestehen, dass eine beträchtliche Zahl derjenigen, die am 20. Juli aktiv mitgewirkt und dabei vielfach ihr Leben geopfert haben, zuvor am Rassenvernichtungskrieg teilgenommen, ihn jedenfalls streckenweise gebilligt und in einigen Fällen aktiv vorangetrieben haben.« Ein Satz wie ein Keulenschlag, der zweifellos eine heftige Diskussion über den »militärischen Widerstand« auslösen wird, den man auf jeden Fall nicht, wie Mommsen meint, »zum Alibi für die Wehrmacht« machen darf.

Im Vergleich zu diesen wirklich provozierenden Thesen Mommsens verblassen die beiden abschließenden Aufsätze über einen nationalsozialistischen Propagandafilm von Evelyn Hampicke und Hanno Loewy sowie über die Darstellung von Antisemitismus und Judenverfolgung im deutschen Nachkriegsfilm von Tim Gallwitz.

Fazit: Ein zwar heterogener, aber insgesamt doch interessanter Sammelband, der nicht nur Anregungen für die eingangs erwähnte »Ursachen- und Motivforschung« bietet, sondern darüber hinaus auch Anstöße für die öffentliche Diskussion über diese Zeit liefern wird, die eine »Vergangenheit« zu bleiben scheint, die »nicht vergehen will« (Ernst Nolte) und auch nicht vergehen darf. Wenn das Fritz-Bauer-Institut das mit diesem Jahrbuch gewollt hat, so ist ihm dies ohne Zweifel gelungen. Dies ist in meinem Augen ein Kompliment.

Wolfgang Wippermann, Berlin



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