Archiv für Sozialgeschichte
Rezension

Olaf Blaschke, Katholizismus und Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1997, 443 S., kart., 78 DM.

Der Antisemitismus ist eines der großen und bewegenden Themen der deutschen Zeitgeschichte, vielleicht das größte und bewegendste. Dabei ist die christlich-religiöse Wurzel der Judenfeindschaft zu Recht als wesentlich für die tiefe Hassdimension dieser Feindschaft hervorgehoben, zugleich jedoch in unterschiedlicher Weise der moderne, rassisch-argumentative Antisemitismus davon abgegrenzt worden. Bei der Suche nach den Zusammenhängen von älterer Judenfeindschaft und modernem Antisemitismus stand vor allem der Protestantismus im Zentrum, weil er im Kaiserreich den Juden gegenüber das offenkundigste Spektrum von gesellschaftlichem Vorbehalt bis radikaler Militanz bot, obwohl es an Hinweisen auf Mischzonen älterer und moderner Judenphobie auch unter Katholiken nicht gefehlt hat. Die Bielefelder Dissertation von Olaf Blaschke will nun in Gegensetzung zu etlichen neueren Darstellungen, die der katholischen Verstrickung in den Antisemitismus eine eher geringe Bedeutung beimessen, diesen als einen wichtigen Bestandteil ultramontaner Katholizität erweisen. Der Schwerpunkt liegt nicht auf dem bislang vorrangig thematisierten politisch-parlamentarischen Katholizismus, sondern in der Analyse des »katholischen Milieus«, dem auch der politische Katholizismus verhaftet blieb.

In neun materialreichen Abschnitten werden die »Feuertaufe des Milieus im Kulturkampf«, die Eigenart des »katholischen Antisemitismus« in der Übergangszone von religiöser und rassischer Judenablehnung, werden »soziale Träger, Interessen und Rezipienten« dieses konfessionellen Antisemitismus, seine Funktionen, seine geographischen Schwerpunkte erörtert und dargestellt. Deutlich wird, dass die katholische Aversion gegenüber »den Juden« im späten 19. Jahrhundert eine neue Form von Ablehnung im Vergleich zur älteren Feindschaft gegenüber den »Gottesmördern« und Christus-Verächtern verkörperte. Zum letztlich Infernalischen des Mordvorwurfs trat die liberal-libertinäre Bedrohung durch die Moderne, zu deren Symbolfigur »der Jude« wurde.

Die Argumentation ist stringent und reich dokumentiert, sodass das Vorhandensein eines - auch - antijüdischen Milieus im deutschen Katholizismus deutlich wird. All dies lässt das Buch Blaschkes zu einer dichten, gewinnbringenden Lektüre werden, die freilich in ihrem empirischen Befund kaum erstaunlich ist, zumindest nicht für jemanden, der selbst im katholischen Milieu aufwuchs. Erkauft wird diese Stringenz allerdings durch einen engen Ansatz der Thesen, der alternative Linien abschneidet, statt sie als Möglichkeiten zu befragen. Es ist eine Methode, die auf eine »latente Neigung«, auf einen »aus den Texten gefilterten« Antisemitismus abzielt und den gesellschaftlichen Kontext der Epoche als »historisches« Argument vernachlässigt. Sie bewegt sich nur im sozusagen katholischen Kanal, in dem alle anderen ihren Handlungscharakter weithin einbüßen; eine solche Methode kann nicht ganz unbezweifelt bleiben. Dass der Katholizismus Institution ist, die sich in den Schiebungen politischer und weltanschaulicher Macht wie eine Institution verhält, wird den Historiker kaum überraschen, auch nicht, dass die Anbetung der Kirche zunächst ihr selbst gilt und alle Moral zuerst Interessen vertritt, hoffentlich nicht auch zuletzt und im Letzten. Blaschkes Buch ist daher belehrend und erhellend, ganz ohne Einspruch kann es nicht bleiben.

Karl H. Metz, Erlangen



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