Archiv für Sozialgeschichte
Rezension

Robert Mark Spaulding, Osthandel and Ostpolitik. German Foreign Trade Policies in Eastern Europe from Bismarck to Adenauer, Berghahn Books, Oxford etc. 1997, 546 S., geb., 60 £.

Die Außen-, Wirtschafts- und Handelsbeziehungen Deutschlands mit seinen nächsten östlichen Nachbarn stehen im Zentrum der vorliegenden Arbeit von Robert Mark Spaulding, der an der University of North Carolina lehrt. Das Ziel seiner Untersuchung ist es, unter Einbeziehung einer Fülle von Faktoren eine umfassende Wirtschaftsgeschichte des Osthandels zu schreiben: "[T]he intention is to get beyond a purely economic history of German-Estern Europe trade" (S. 2). Ausgehend von der These, dass Handelspolitik immer auch Außenpolitik und Innenpolitik sei, entwirft der Autor ein facettenreiches Bild der außen- und handelspolitischen Beziehungen Deutschlands im osteuropäischen Raum. Bemerkenswert ist dabei nicht nur der ungewöhnlich große Untersuchungszeitraum, der von der Ära Bismarck bis zur Adenauer-Zeit reicht, sondern auch die Tatsache, dass er neben der Sowjetunion die Tschechoslowakei und Polen durchgängig in seine Betrachtungen einbezieht.

Spaulding arbeitet mit Hilfe einer flexiblen vergleichenden Methode, die sich sowohl an den unterschiedlichen innen- und wirtschaftspolitischen Konstellationen Deutschlands über einen Zeitraum von siebzig Jahren orientiert als auch an den daraus entstehenden Implikationen, die die Wirtschaftsbeziehungen zu Osteuropa, aber auch die Politik gegenüber den westlichen Nachbarn beeinflussten. "This comparative scope allows a more comprehensive evaluation of the pressure on policymaking than is usually the case" (S. 2). Darüber hinaus betont der Autor die immense Bedeutung gerade privatwirtschaftlicher Interessen für die Entwicklung des Osthandels.

Er beginnt seine in neun große Kapitel gegliederte Analyse mit dem deutsch-russischen Handelsvertrag von 1894, wobei er insbesondere den Einfluss der Diplomatie ins Auge fasst. Der russisch-japanische Krieg 1903/04 und dessen Auswirkungen auf die Wirtschaftspolitik Russlands gegenüber Deutschland und eine allgemeine Betrachtung der Handelspolitik in den Jahren von 1904 bis 1914 sind Gegenstand des zweiten Kapitels. In den folgenden Abschnitten wirft der Autor dann einen vergleichenden Blick auf die Handelspolitik der Weimarer Republik und ihre Beziehungen zu Russland, Polen und der Tschechoslowakei, die durch den verlorenen Krieg und die Auflagen des Versailler Vertrages geprägt waren. Es waren insbesondere unterschiedliche Interessen der westdeutschen Industrie und des niedergehenden ostelbischen Junkertums, die eine stabile und dauerhafte Handelspolitik mit dem Osten erschwerten, so dass die Chancen einer wirtschaftlichen Konsolidierung Deutschlands durch Einbeziehung des Ostmarktes nicht genutzt werden konnten. Zudem stand in der Außenpolitik die Westorientierung Stresemanns einer Vertiefung der Handelsbeziehungen mit den östlichen Nachbarn entgegen. Zwei weitere Kapitel sind der Phase zwischen der Weltwirtschaftskrise und dem Zweiten Weltkrieg gewidmet. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung standen die Handelsbeziehungen zu den drei östlichen Nachbarstaaten ganz im Zeichen des Auf- und Ausbaus einer funktionierenden Kriegswirtschaft und einer schlagkräftigen Armee. "In sum, Hitler´s Nazi government enjoyed an anarchic international trade regime and an autonomous domestic regime from 1933 to 1939. The combination worked synergetically to produce both the opportunity and the ability for German policies of economic diplomacy in Eastern Europe" (S. 481). Der Nichtangriffspakt zwischen Stalin und Hitler sei sowohl das Ergebnis einer Intensivierung der deutsch-sowjetischen Handelsbeziehungen gewesen als auch deren Auslöser und habe erheblich zu den Kriegsvorbereitungen Deutschlands beigetragen (S. 274-278).

Eindrucksvoll wird für die Zeit zwischen 1945 und 1949 das in Deutschland herrschende Chaos dargestellt, das einerseits durch die unterschiedliche Politik der Alliierten in den einzelnen Sektoren geprägt war, andererseits durch den Kampf Deutschlands um sein wirtschaftliches Überleben. Die deutsche Forderung nach wirtschaftlicher Autonomie stand anfänglich ganz im Gegensatz zu den Absichten der Alliierten. Erst die zunehmende Auf- und Abspaltung der politischen Blöcke, die in den Kalten Krieg mündeten und zur endgültigen Teilung Deutschlands führten, veränderten die restriktive Haltung der USA gegenüber den wirtschaftlichen Forderungen West-Deutschlands, nachdem die Amerikaner die Möglichkeiten eines wirtschaftsstarken Partners in Europa für den Ost-West-Konflikt erkannt hatten. Während die handelspolitischen Beziehungen zu Polen und der Tschechoslowakei vertraglich legalisiert wurden, gab es solche Abmachungen mit der Sowjetunion nicht. Spaulding unterstreicht, dass gerade das Fehlen tragfähiger Wirtschaftsvereinbarungen zwischen den beiden Staaten die wirtschaftliche und politische Annäherung auf lange Zeit prägten (S. 333 f.).

Die letzten beiden Kapiteln untersuchen die Entwicklung der wirtschafts- und handelspolitischen Beziehungen beider deutscher Staaten zu ihren östlichen Nachbarn in den Jahren des Kalten Krieges. Als Faktoren für die Vertiefung der politischen und wirtschaftlichen Gegensätze führt der Autor die Planwirtschaft im Osten und das Wirtschaftswunder im Westen an, die eine Ost-West Annäherung und eine Konsolidierung des Osthandels erschwerten. Aber, so erkennt Spaulding scharfsinnig, es waren eben jene politischen Gegensätze, die Westdeutschland – nachdem es wirtschaftlich gefestigt war – veranlassten, mit Hilfe einer Erweiterung der Handelsbeziehungen die politische Spaltung zu überbrücken und eine Annäherung zwischen Ost und West zu erreichen. Abschließend kommt Spaulding zu dem bemerkenswerten Urteil: "It is of course ironic that the Federal Republic as Germany´s most human regime and the Third Reich as ist most inhumane have both experienced a similary favorable combination of international and domestic factors for the formation of very succsessfull trade policies in the East" (S. 485).

Das vorliegende Buch vermittelt dem interessierten Leser einen ausführlichen Überblick über die konfliktreichen und wechselhaften wirtschafts- und handelspolitischen Beziehungen Deutschlands zu seinen östlichen Nachbarn. Der Autor stützt seine Untersuchung auf eine breite Quellenbasis und kann durch seine vergleichende Methode wie durch den großen Untersuchungszeitraum mit bemerkenswerten Ergebnissen aufwarten, die durch eine Reihe von statistischen Auswertungen und Tabellen untermauert werden. Dabei ergeht sich Spaulding nicht in einer endlosen Auflistung von Zahlenreihen, sondern setzt handels-, wirtschafts- und innenpolitische Entwicklungen und Einflüsse zueinander in Beziehung und wertet sie profund aus.

Klaus-Dieter Weber, Kassel



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