Archiv für Sozialgeschichte
Rezension

Ralf Engeln u. a., IG Metall. Im Wandel gestalten. Zur Geschichte der Essener Metallindustrie 1946-1996, Verlag Klartext, Essen 1996, 186 S., geb., 29,80 DM.

Wie bei einem Buch, das eine Gewerkschaft, hier die Verwaltungsstelle Essen der IG Metall, herausgibt, nicht anders zu erwarten, dient diese Publikation nicht allein der Untersuchung der Entwicklung des Essener Metallindustrie. Erarbeitet von fünf StipendiatInnen der Hans-Böckler-Stiftung und dem Fotojournalisten Manfred Vollmer geht es aus Anlass des 50. Jahrestages der Gründung der Essener Verwaltungsstelle der IG Metall um die Erinnerung an gewerkschaftliche Kämpfe seit der Befreiung vom Nationalsozialismus und die Verarbeitung fünfzigjähriger Erfahrungen mit strukturellem Wandel und seiner Gestaltung und Bewältigung im Arbeitnehmerinteresse. Und nicht umsonst stehen am Anfang des Buches Brechts Fragen eines lesenden Arbeiters.

Das erste Kapitel analysiert knapp den Strukturwandel der Essener Metallindustrie, der Produktions- und Arbeitsbedingungen und den notwendigen Wandel der Gewerkschaftsarbeit in Essen. Vor dem Hintergrund der bundesrepublikanischen Entwicklung und der dann einsetzenden Strukturkrise der Montanindustrie wird Essens Weg von der Montanstadt zum Dienstleistungszentrum dargestellt und mit zahlreichen Zahlen und Tabellen dokumentiert. Essen überstand den Verlust zehntausender Montanarbeitsplätze besser als die meisten Ruhrgebietsstädte, weil der Dienstleistungssektor frühzeitig stark ausgebaut und Essen mit seinen Behörden und Konzernverwaltungen auch zu einem „Schreibtisch des Ruhrgebiets" wurde. In der Metallindustrie ersetzten schon bald Arbeitsplätze in weiterverarbeitenden Betrieben die der großen schwerindustriellen Unternehmen. Der ökonomische Strukturwandel führt naturgemäß auch zu den in dem Band ausführlich diskutierten Veränderungen der Struktur der Gewerkschaftsmitglieder.

Der Analyse der Mitgliederstruktur des Essener IG Metall folgt dann eine Darstellung der sich wandelnden Gewerkschaftspolitik, von den frühen Kämpfen für die (Montan-)Mitbestimmung über die Humanisierungsbemühungen und die Auseinandersetzungen mit Strukturwandel und betrieblichen Rationalisierungen bis zum tarifpolitischen Kampf um Arbeitszeitverkürzung.

Als ein weiteres Element der Essener Metallindustrie wird in einem anschließenden Kapitel auf die industrielle Frauenarbeit in der Metallbranche Essens eingegangen, auf Grundfragen der gewerkschaftlichen Frauenarbeit und den Kampf um Lohngleicheit. Die z.T. schwierigen Auseinandersetzungen mit der Essener Metallindustrie werden anhand von Fallbeispielen behandelt, ohne dabei zu vergessen, wie schwer es der „Männergewerkschaft" der Metallindustrie fiel, sich mit den spezifischen Problemen der Frauenarbeit auseinanderzusetzen.

Dem folgt die exemplarische Behandlung zweier durch gravierenden Strukturwandel geprägter Firmengeschichten aus gewerkschaftlicher Sicht. Wesentliche Grundlage sind die ausführlich zitierten Darstellungen der Betriebsräte, die mit ihrem außerhalb der Betriebe allzuoft unbekannten Wissen die große Bedeutung der Gewerkschaften, der Betriebsräte und der Suche nach einvernehmlichen Lösungen zwischen Unternehmen und Arbeitnehmern deutlich machen. Die Berichte aus den Betrieben geben auch einen konkreten Einblick in das ruhrgebietstypische Politikmodell der basisnahen Stellvertretung, das mit seiner Prägung durch basisnahe Eliten in Betrieben Stadtteilen, Gewerkschaftsarbeit, Sozialdemokratie und öffentlichen Mandaten das Ruhrgebiet seit den späten 1950er Jahren prägte, aber spätestens seit den 1980er Jahren ausläuft. In der Montanindustrie des Reviers federte es den Strukturwandel ab und schützte mindestens in den Kernbereichen der Montanindustrie die Arbeitnehmer.

Zunächst geht es um die Firma Krupp, die als Symbol der Verstrickung der Schwerindustrie in den Nationalsozialismus besondere Schwierigkeiten der Wiederinbetriebnahme und des Wiederaufbaus hatte, dann aber erstaunlich bald wieder florierte. Hier vollzogen sich bereits seit den 1960er Jahren bedeutende Umstrukturierungen, in denen auch der alte „Kruppianer" verschwand und eine klare gewerkschaftliche Vertretung der Arbeitnehmerinteressen immer notwendiger wurde. Das Buch zeigt die Schwierigkeiten solcher Interessenvertretung und auch die nachträglichen Heroisierungen und Mystifizierungen. Das zweite Beispiel behandelt eine Turbinen- und Maschinenfabrik, die aus einem Werksteil von Krupp hervorgegangen war - die AEG (Kanis). Auch hier werden die komplizierten Umstrukturierungsprozesse und das Ringen der Betriebsräte besonders eindrucksvoll mit zahlreichen Zitaten der beteiligten Gewerkschafter geschildert. Das Ende der Geschichte sagt alles: An dem alten Standort dieses Metallbetriebes, in einer der Werkshallen, wurde eine Musicalhalle eingerichtet. Mit erheblich reduzierter Beschäftigtenzahl arbeiten Teile des Unternehmens an einem neuen (Essener) Standort in ganz anderen Strukturen weiter.

Zusammengefasst stellt das Buch die fünfzigjährige Auseinandersetzung der Essener Metallgewerkschafter an ihren Arbeitsplätzen und in ihren Betrieben dar. Durch das Buch zieht sich die stete Furcht vor weiterem, vielleicht sogar beschleunigtem Strukturwandel und trotz eines verbreiteten Optimismus die Sorge vor weiteren gravierenden Arbeitsplatzverlusten. Der Rückblick auf die letzten fünfzig Jahre endet hier - mit den gesammelten Erfahrungen geht es offenbar in eine ungewisse Zukunft.

Stefan Goch, Gelsenkirchen



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