Archiv für Sozialgeschichte
Rezension

Annette Keinhorst, Petra Messinger unter Mitarbeit von Hilde Hoherz (Hrsg.), Die Saarbrückerinnen. Beiträge zur Stadtgeschichte (= Schriftenreihe Geschichte, Politik & Gesellschaft der Stiftung Demokratie Saarland, Bd. 2), Röhrig Universitätsverlag, St. Ingbert 1998, 421 S., 59 Abb., brosch., 48 DM.

Die 21 Beiträge dieses Sammelbandes handeln von einzelnen Frauen und frauenspezifischen Institutionen und Organisationen, die ganz überwiegend aus dem 20. Jahrhundert stamm(t)en. Insofern enthält das Buch weniger als sein Titel verspricht. Als Ersatz der "offiziellen Saarbrücker Stadtgeschichtsschreibung" (S. 16) kann der Band, der "zum ersten Mal Frauenleben in Saarbrücken aus unterschiedlichsten Perspektiven historisch beleuchtet" (Klappentext), nicht dienen. Das berechtigte Engagement für eine vernachlässigte Dimension der Geschichte führt gelegentlich zu überspitzt-kämpferischen Urteilen in dem ansonsten durchaus instruktiven und originellen Werk, das sich als eigenständiger Beitrag zum 1000-jährigen Jubiläum der Ersterwähnung Saarbrückens versteht.

Der erste Themenkreis "Frauenpolitik" enthält sechs Beiträge, von denen sich die beiden ersten dem Leben und publizistischen Wirken von Angela Braun-Stratmann, der Ehefrau des Sozialdemokraten Max Braun, widmen, die sich politisch, sozial und pädagogisch in der Weimarer und in der Nachkriegszeit in der Frauenbewegung profilierte. Im Exil (1935 bis 1945 in Frankreich und England) bekämpfte sie Nazideutschland und nahm mit ihrem Mann die französische Staatsbürgerschaft an. Ein biographischer Abriss zur Lehrerin Klara-Marie Faßbinder, die sich gegen den Strom der dominanten politischen Kultur am Ende des Ersten Weltkrieges zu einer Pazifistin entwickelte, macht deutlich, dass sensible Zeitgenossen aus der Geschichte zu lernen vermochten. Allerdings musste sie in nationalsozialistischer Zeit, belegt mit einem Berufsverbot, in kümmerlichsten Verhältnissen leben. Personen- und Institutionengeschichte werden in Beiträgen zur Berufung der ersten Frauenbeauftragten des Saarlandes, zur Einrichtung eines Frauenbüros in der Saarbrücker Stadtverwaltung und zur Gründung der Neuen Saarbrücker Frauenbewegung im Jahre 1973 miteinander verknüpft.

Der zweite Themenblock, der sich mit "Vereinen" befasst, besteht aus drei Aufsätzen. Lag der Schwerpunkt der vorangegangenen Ausführungen auf der Emanzipationsbewegung, so begegnet uns jetzt ein überwiegend konservatives Gegenbild. Im "Vaterländischen Frauenverein" wurden die Frauen organisatorisch und ideologisch in den Dienst des monarchisch geprägten Nationalismus genommen, und im Ersten Weltkrieg errichtete der "Saarbrücker Hausfrauenverein" gewissermaßen eine Heimatfront zur Stärkung der deutschen Wehrkraft. Auf die alte Tradition karitativer Funktionen gründete der um 1900 entstandene "Katholische Fürsorgeverein für Mädchen, Frauen und Kinder", der sich 1968 in "Sozialdienst katholischer Frauen" umbenannte.

Thematisch sehr weit gespannt sind die acht Beiträge der Themengruppe "Bildung und Beruf". Zeitlich, aber auch in Bezug auf den herausgehobenen Stand der behandelten Person fällt die Skizze von Leben und Werk Elisabeths von Nassau-Saarbrücken (1397-1456) aus dem Rahmen. Schriftsteller (Liesbet Dill), Künstlerinnen (Berta Bruch), Wissenschaftlerinnen (Marie E. P. König, weibliches Lehrpersonal der Universität des Saarlandes) finden hier bevorzugte Aufmerksamkeit. Daneben werden in Fallstudien die St. Johanner Hebamme Sofia Weinranck (18. Jahrhundert), eine Verwaltungsangestellte und eine Lehrerin (Kaiserreich und Weimarer Republik) vorgestellt, wobei der zeitgeschichtliche Kontext in seiner Bedeutung für das berufliche Wirken jeweils herausgestellt wird.

Mit dem Frauenstrafvollzug im Nationalsozialismus wird ein gänzlich anderes Thema angeschlagen. Im "Weiberhaus" auf der Lerchesflur war Platz für knapp siebzig Gefangene, doch war die Anstalt meist überbelegt. Bemerkenswert ist das Faktum, dass die Evakuierung der saarländischen Bevölkerung zu Beginn und zu Ende des Krieges mitsamt den Gefängnisinsassen erfolgte.

Mit dem Mythos der "Schulze Kathrin", der einfachen Magd, die sich in ihrem Opfergeist während der Schlacht auf dem Spicherer Berg im deutsch-französischen Krieg von 1870/71 auszeichnete, befasst sich ein historischer Beitrag, der sich das Etikett einer "polemischen Spurensuche" verleiht. In der Tat scheint dem Handeln der Magd nichts Außergewöhnliches angehaftet zu haben. Ihr gesamtes Leben war ein einziger Dienst für ihre Familie und im Haushalt ihres Arbeitgebers. Die Heroisierung erfolgte erst nach ihrem Tod, die letzten Lebensjahre waren von Armut und Krankheit gezeichnet.

Der Methode der Oral History ist der letzte Themenkreis verpflichtet, in dem Kindheits- und Lebenserinnerungen von sechs Frauen festgehalten werden.

Die Herausgeberinnen fordern in der Einleitung, "die Marginalität und Exotik von Frauenstadtgeschichte" (S. 25) zu überwinden. Mit dem vorliegenden Werk haben sie einen Beitrag dazu geleistet.

Peter Burg, Münster



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