Archiv für Sozialgeschichte
Rezension

Philipp Heyde, Das Ende der Reparationen. Deutschland, Frankreich und der Youngplan 1929-1932, Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn etc. 1998, 506 S., geb., 128 DM.

In seiner von Henning Köhler betreuten Berliner Dissertation geht Heyde der Frage nach, unter welchen Bedingungen und durch welche Entscheidungen ein Wandel in der Konstellation der europäischen Mächte möglich wurde, an dessen Beginn 1928/29 Frankreich sich in einer scheinbar günstigen, langfristig vertraglich geregelten finanz- und sicherheitspolitischen Vormachtposition auf dem Kontinent wähnte, während an dessen Ende 1932/33 das Deutsche Reich sich seiner vertraglichen Bindungen zumindest faktisch weitgehend entledigt und eine Machtstellung wieder erlangt hatte, die es den französischen Regierungen fortan ratsam erscheinen ließ, Schutz vor mutmaßlichen deutschen Bedrohungen in einer engen Anlehnung an Großbritannien zu suchen.

Diesen Prozess analysiert Heyde am Beispiel der Reparationsproblematik, in der die französische Status-quo-Politik im Sommer 1932 mit der abschließenden, wenngleich nie ratifizierten Regelung von Lausanne ihre "erste große Niederlage" erlitt. Die komplizierten Diskussionen und Verhandlungen in und zwischen Deutschland und Frankreich um Erfüllung oder Revision des Young-Plans, die im Grunde schon mit seiner Ratifizierung einsetzten, rekonstruiert der Verfasser im Rahmen einer quellengestützten chronologischen Darstellung von Entscheidungsprozessen, wobei er stets die internationalen Rahmenbedingungen einbezieht und vor allem die jeweiligen innenpolitischen Hintergründe außenpolitischen Handelns in vorbildlicher Weise aufzeigt. So wird an verschiedenen Stellen deutlich, wie von Vertretern der französischen und der deutschen Seite wiederholt vorgebrachte Vorschläge zur Regelung der Zahlungsproblematik auf der Basis von Vernunft und gemeinsamen Interessen bei den Regierungen jeweils auf Ablehnung stießen, weil sie aus (vorgeblicher?) Rücksichtnahme auf rechtskonservative politische Partner und auf die jeweiligen nationalistisch dominierten öffentlichen Meinungen Kompromisse scheuten.

Die Unfähigkeit zu Kompromissen in der Frage einer einvernehmlichen Neuregelung der Reparationen nach 1929 mündete schließlich in eine Blockade der gesamten internationalen Politik zu Beginn der Dreißigerjahre ein. Diese stand, wie die Zeitgenossen deutlich erkannten, in engem Zusammenhang mit der Lähmung der Weltwirtschaft, welche wiederum zu einem guten Teil auf das ungelöste Problem der zwischenstaatlichen Schulden zurückgeführt wurde. Hier setzte die britische Regierung an, die, zumal sich die US-Administration unter Hoover der Einwirkung auf die innereuropäischen Angelegenheiten zunehmend verweigerte, spätestens in Lausanne zum Vermittler avancierte. So eröffnete weder die hartnäckige deutsche Weigerung, weitere Zahlungen zu leisten, noch das französische Festhalten an der Gültigkeit der Verträge einen Ausweg aus der verfahrenen Situation: Macdonalds Intervention wurde durch seine Hoffnung bestimmt, durch ein Ende der Reparationen zu einer Wiederankurbelung der internationalen Wirtschaft beitragen und zugleich das Vertrauen der Finanzmärkte wiederherstellen zu können, um damit die Voraussetzungen für eine Stabilisierung auch der politischen Ordnung in Europa zu schaffen. Den international immer stärker isolierten Franzosen blieb nichts anderes übrig, als ihre starre Haltung aufzugeben und sich den im Grunde plausiblen Argumenten zu fügen.

Die damit verbundene politische Niederlage, die noch durch das fortgesetzte Beharren der US-Administration auf der Rückzahlung der Kriegsschulden verstärkt wurde, erscheint nicht nur in der rückblickenden Betrachtung wenig erstaunlich: Sie ergab sich aus der außerhalb Frankreichs längst weithin verbreiteten Auffassung, eine dauerhafte Niederhaltung des Deutschen Reiches gemäß den Vorgaben des Vertrages von Versailles sei nicht sinnvoll. Und sie war, wie man gerade in Frankreich sehr genau erkannte, die mittelfristig kaum zu vermeidende Konsequenz aus der Tatsache, dass das überlegene wirtschaftliche, demographische und letztlich militärische Potenzial Deutschlands durch die Regelungen von 1919 nicht entscheidend geschwächt worden war.

Heydes Arbeit liefert weit über das Gesagte hinaus viele interessante Einblicke etwa in das späte Wirken Aristide Briands oder in die Konzeptionslosigkeit der Reparationspolitik Heinrich Brünings. Leider wird die flüssige Lektüre des Textes immer wieder durch Anakoluthe, Trennungsfehler und ähnliche Hindernisse erschwert, die einer flüchtigen Überarbeitung am Computerbildschirm geschuldet sind. Es ist zu bedauern, dass auch der Schöningh-Verlag darauf verzichtet, einem Lektor Arbeit zu geben. Eine Kleinigkeit schließlich: Die britische Regierung hat 1939 nicht "Polens Grenzen" garantiert (S. 473), sondern lediglich seine Unabhängigkeit.

Rainer Behring, Dresden



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