Archiv für Sozialgeschichte
Rezension
Barbara Fait, Demokratische Erneuerung unter dem Sternenbanner. Amerikanische Kontrolle und Verfassungsgebung in Bayern 1946 (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Band 114), Verlag Droste, Düsseldorf 1998, 618 S., geb., 128 DM.
Die Entstehungsgeschichte der Bayerischen Verfassung auf umfassender Quellengrundlage zu beleuchten, ist das Ziel vorliegender Arbeit. Da im letzten Jahrzehnt bereits zwei Schriften über dieses Thema erschienen sind, betrachtet die Vf.in nicht die gesamte Bayerische Verfassung, sondern konzentriert sich auf die damals besonders umstrittenen Fragen (Wahlsystem, Zweite Kammer, Staatspräsident, Schule und Neuordnung der Wirtschaft) sowie auf das Verhältnis der amerikanischen Besatzungsmacht zur Verfassungsgebung. Eingebettet ist dies in einen umfänglichen Verlaufsbericht vom Beginn der Verhandlungen bis zur Volksabstimmung am 1. Dezember 1946. So ist eine materialreiche, klar gegliederte und gut lesbare Darstellung entstanden, die auch bereits von der Bayerischen Landeszentrale in einer Sonderausgabe verbreitet wurde.
Die Schrift, bei der die Vf.in auf eigene Vorarbeiten zur Besatzungsmacht und zur CSU zurückgreifen konnte, hat in der Tat, vor allem durch umfangreiche Quellenrecherchen in Amerika, jene "Atmosphäre von Freiheit" erneut untermauert, in der die Amerikaner die Verfassungsberatungen zwar intensiv, aber vorsichtig begleiteten; sie rekonstruiert auch genau die Spannungen zwischen dem stellvertretenden Militärgouverneur Clay in Deutschland und dem State Departement in Washington. Wenig interessiert sie sich allerdings für Herkunft, Denkweise und politische Überzeugung der amerikanischen Protagonisten (z.B. R. Wells, 501f.), was sicher weitere Aufschlüsse bringen würde. Besonders großer Wert ist dann auf die innerparteilichen Auseinandersetzungen, besonders in der CSU, gelegt, die dazu beitrugen, daß der Verfassungsentwurf des Ministerpräsidenten Hoegner (SPD), obwohl die CSU die absolute Mehrheit in der Konstituante hatte, in vielfacher Hinsicht sich durchsetzen konnte.
Eben hier drängen sich aber auch erste Zweifel auf. Waren solche Streitigkeiten - es gibt sie ja in jeder Partei, doch sind sie bei der CSU zufällig besonders gut belegt - wirklich das Entscheidende und sind sie richtig interpretiert? Kann man sie nicht auch als Ausdruck des Ringens um die Sache sehen? Hinter den streitbaren Stellungnahmen stehen doch Grundüberzeugungen und konkrete Pläne; nach ihnen wird aber in diesem Buch kaum gefragt. Dies gilt sogar für den entscheidenden Verfassungsentwurf von Hoegner selbst: nirgends ist eine Analyse seiner Grundgedanken, die ihn seit der Münchner Zeit, über das Schweizer Exil bis zur Ernennung zum Ministerpräsidenten bewegt haben, unternommen; daß der Entwurf auch nicht abgedruckt ist, unterstreicht das geringe Interesse daran. So bleibt es auch hier meist bei der Betrachtung der Aktionen, mit denen man den jeweiligen Gegner mit Raffinesse ("pokern", 463) abdrängen konnte.
Sodann ist nicht zu übersehen eine durchgehende Parteilichkeit; einen klaren Standpunkt wird jeder akzeptieren, nicht aber unreflektierte Einseitigkeit. So wird die CSU, vor allem der sog. Schäffer/Hundhammer-Flügel, stets als patriarchalisch-konservativ, autoritär-demokratisch und dem Obrigkeitsstaat des 19. Jahrhunderts verhaftet gesehen (z.B. 323; 260), etwa wenn er sich für den Staatspräsidenten einsetzt; sagt Hundhammer jedoch etwas "Demokratisches", heuchelt er (342, 521). Diese Einstellung, die das ganze Buch durchzieht, ist besonders an jener Stelle auffällig, wo die Vf.in über sechs (!) Seiten hin eine (sehr zeitgebundene) parlamentskritische Schrift Schäffers von 1922 zitiert (vgl. dazu eingehend O. Altendorfer, F. Schäffer, I, 1993, 246ff.) und dann feststellt, Schäffer habe sich 1946 zwar nicht äußern können, doch Hundhammer, der mit ihm in Kontakt stand, vertrete die damaligen Gedanken Schäffers (290): eine unbewiesene, methodisch fragwürdige Behauptung. Die Einteilung in Flügel ist vielfach plakativ, die Wertschätzung des Parteichefs Müllers unreflektiert. Das ideologische Fundament von SPD und KPD wird übrigens nicht thematisiert.
Die entscheidende Auseinandersetzung mit Faits Darstellung wird aber auf dem Feld der Geschichte selbst erfolgen müssen. Abgesehen von dem eben berichteten Bezug auf 1922 greift nämlich das Buch fast nirgends auf die konkrete Geschichte Bayerns zurück, so als gäbe es nicht seit dem 19. Jahrhundert eine hochbedeutsame politische und Verfassungsgeschichte dieses Landes; die Verwurzelung gerade der CSU in der Verfassungspartei des Zentrums etwa kommt gar nicht in den Blick. Die Namen Heim und Held, Vollmar und Auer tauchen entweder überhaupt nicht oder völlig marginal auf. Aber gerade diese Traditionen haben die Verfassungsgeber Hoegner, Ehard und Nawiasky zutiefst beeinflußt. So versteht die Vf.in auch die zentrale, von ihr selbst zitierte Argumentation Nawiaskys nicht, daß ein Staatspräsident nötig sei, um die Situation nach einem Rücktritt eines Ministerpräsidenten zu meistern (308f.): eben solch ein Rücktritt und die Unmöglichkeit, eine neue Regierung zu etablieren, hatte seit 1930 das Kabinett Held weitgehend handlungsunfähig gemacht und Staat und Demokratie an den Abgrund geführt - für die Autorin denkt Nawiasky aber einfach wieder an den "starken Mann". In vielen Punkten ist das Desinteresse an der konkreten Geschichte Bayerns zu spüren: Im Bereich der Schule, wo sie das Einklassensystem, das bis in die 60er Jahre vielfach üblich war, mit einem polemischen Zitat eines Gegners abtut (380f.), im Bereich der geistlichen Abgeordneten, wo ihre Argumentation den entscheidenden Entpolitisierungsartikel des Reichskonkordats, auch Faulhabers Einstellung dazu nicht kennt (262ff.), oder bei der für sie offenbar geradezu schreckhaften Erscheinung des Monarchismus, der eben nicht einfach der "Volksseele" entstammt (341), sondern als ein Staatsprogramm genauso differenziert zu bewerten ist wie andere (gibt es keine parlamentarischen Monarchien?). Vielleicht kann man in einer politologischen Arbeit auf die reale Geschichte eines Landes verzichten, in einer historischen nicht.
Kritische Auseinandersetzung, auch wenn sie deutlich ist, hat nicht das Ziel, ein Werk schlecht zu machen; dies wäre hier auch nicht angemessen, bringt die Vf.in doch viel interessantes und eindrucksvoll präsentiertes Material und beachtliche Überlegungen - die Neuordnung der Wirtschaft etwa erscheint besonders gelungen. So ist das Buch durchaus ein wichtiger Baustein zur Geschichte der Bayerischen Verfassung. Vielmehr soll die Rezension dazu dienen, die wissenschaftliche Auseinandersetzung zu vertiefen und damit weitere Studien zur Verfassung Bayerns, gerade in Bezug auf deren geschichtliche Verankerung, zu befördern.
Walter Ziegler, München