Archiv für Sozialgeschichte
Rezension

Birgit Breiding, Die Braunen Schwestern. Ideologie, Struktur, Funktion einer nationalsozialistischen Elite, Franz Steiner Verlag, Stuttgart 1998, 338 S., brosch., 68 DM.

Mit Birgit Breidings Buch liegt eine Untersuchung über eine Berufsgruppe nationalsozialistischer Frauen vor. Im Mittelpunkt steht die Geschichte der "NS..-Schwesternschaft", einer bisher wenig bekannten Parteiorganisation professioneller Krankenschwestern, deren Anfänge in der "Kampfzeit der Bewegung" während der Weimarer Republik liegen. Sie ging 1942, inzwischen 12.000 Mitglieder stark, mit 20.000 NSV-Schwestern im "NS..-Reichsbund deutscher Schwestern und Pflegerinnen" auf.

Angereichert mit aufschlussreichen Abbildungen, zumeist aus zeitgenössischen Werbebroschüren, breitet die Autorin eine Fülle von Informationen aus. Ihre untersuchungsleitende Frage ist, ob die NS..-Schwesternschaft im Berufsfeld der Krankenpflege verwirklichte, was Hannah Arendt die "negative Qualität der totalitären Elite" nannte, nämlich "niemals Lügen mit der Wirklichkeit auch nur zu vergleichen". Die historische Wirksamkeit (agency) der braunen Schwestern, so Breidings These, beruhte auf einer stimmigen Verkettung von Ideologie, Struktur und Funktion. Entsprechend ist die Arbeit in drei thematische Teile gegliedert: 1. die NS.-Schwesternschaft als nationalsozialistischer Orden. Sie war nach dem Mutterhausprinzip (aber ohne Zölibat) organisiert und in einem pseudoreligiösen Glauben an Rasse, Führer und Volksgemeinschaft verankert. Dies war die Basis ihres Berufsethos und Elitebewusstsein (Ideologie). 2. die Verbandsgeschichte der brauen Schwestern als einer politischen Berufsgruppe im Spannungsfeld von Parteileitung, NSV, NS.-Ärzteschaft, Reichsinnenministerium sowie den anderen Schwestern- und Wohlfahrtsverbänden (Organisation). 3. Ausbildung und Tätigkeitsfelder (Funktion).

NS.-Schwestern arbeiteten - abgesehen von ihrer Zeit als Lernschwester und den Lehrschwestern - in der Regel nicht in öffentlichen Krankenhäusern. Als "weibliche Soldaten des Führers" und "fachliche Elitetruppe der NSDAP" waren die braunen Schwestern überwiegend als Gemeindeschwestern tätig, anfangs - wie die Autorin am Beispiel Freiburgs instruktiv nachzeichnet - überall dort, wo es der NSV in zähem Kleinkrieg gelang, kommunale und kirchliche Gemeindeschwesternstellen mit NS.-Schwestern zu besetzen. Später konzentrierte sich der von Berlin aus zentral gesteuerte Schwestern-Einsatz angesichts eines zunehmenden allgemeinen Schwesternmangels auf Regionen, die als wirtschaftliche, gesundheitliche oder politische (!) Notstandsgebiete eingestuft wurden. Das waren vor allem sogenannte "Grenzlandgebiete" wie die Rhön, der Bayerische Wald oder Helgoland. Anders als bei den traditionellen Mutterhäusern scheiterte bei der NS.-Schwesternschaft die Deckung des wachsenden Schwesternbedarfs weniger am mangelnden Interesse junger Berufsanfängerinnen, sondern - wie Breiding einleuchtend darlegt - primär an unzureichenden Ausbildungskapazitäten. Die NS.-Schwesternschaft bot das attraktivste, „modernste" Schwesternbild, die höchste Bezahlung und die Nähe zur Macht. Sie verbuchte daher in wenigen Jahren den höchsten Anteil von Lernschwestern. Ab 1937 sollten Stationen mit NS.-Schwestern nur noch entlang der deutschen Ostgrenze gegründet werden. Der "Anschluss" Österreichs, der Einmarsch in die Tschechoslowakei, der Überfall auf Polen - überall waren die braunen Schwestern dabei. Sie übernahmen lokale Sozialeinrichtungen - fortan "nur für (Volks-) Deutsche". Sie begleiteten Himmlers Umsiedlungstrecks ethnisch Deutscher aus ihren Siedlungsgebieten im Einflussbereich der damaligen Sowjetunion und aus Rumänien. Und sie waren in Umsiedlerlagern, z.B. in Litauen tätig.

Als Krankenschwestern arbeiteten die NS.-Schwestern in den Internaten und Ordensburgen für den Nachwuchs von NSDAP und SS sowie in Ferienlagern von HJ und BDM. Sie waren als Sanitäterinnen auf den Reichsparteitagen in Nürnberg präsent. In SS-Lazaretten pflegten sie Mitglieder aller SS-Formationen, u.a. der KZ-Wachmannschaften; während des Weltkrieges folgten sie der Waffen-SS bis nach Minsk, Kiev und Dnepropetrovsk. Außerdem waren NS.-Schwestern in Lebensborn-Heimen tätig und an den Krankenmorden beteiligt, auch als Oberschwestern im KZ Ravensbrück.

Die Arbeit beruht auf umfangreichen Studien in über 20 Archiven. Eine weitere wichtige Quelle bilden die Schwesternzeitschriften. Die Kapitel sind unterschiedlich in Dichte und Gehalt. Anregend sind die Ausführungen zu Orden und Mutterhaus, über Ausbildung, Organisationsgeschichte und Mitgliederentwicklung. Mehr oder weniger in Aufzählungen erschöpft sich dagegen die Darstellung des Handelns der Schwestern im Weltkrieg. Zu Lesbarkeit und Methode hier nur so viel: Breidung arbeitet bewusst mit einer Unmenge zeitgenössischer Zitate. Deren Sinn erschließt sich jedoch nicht von selbst! Viele Zitate wirken in ihrer erzählerisch eingesetzten Distanzlosigkeit verharmlosend, nicht selten führt dies zu einer vermutlich ungewollten Übernahme der Perspektive der "totalitären Elite". Auf diese Weise mag sprachlich eine "stimmige Verkettung" zwischen Ideologie, Struktur und Funktion hergestellt sein, das Verhältnis von Lügen und Wirklichkeit(en) hingegen bleibt offen.

Gabriele Czarnowski, Berlin



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