Archiv für Sozialgeschichte
Rezension

Theodor Bergmann/Wolfgang Haible/Galina Iwanowa, Friedrich Westmeyer. Von der Sozialdemokratie zum Spartakusbund - eine politische Biographie, Verlag VSA, Hamburg 1998, 286 S., Pb., 38 DM.

Ein weiteres Mal würdigt Theodor Bergmann in einer Publikation das Wirken unabhängiger Marxisten und versucht, eine Traditionslinie zwischen "revisionistischen" Sozialdemokraten und "stalinistischen" Kommunisten zu ziehen. Die vorliegende Biographie behandelt das Leben des - so die Autoren - führenden Stuttgarter Linksradikalen in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg.

Möglich wurde das Buch durch den wiedergefundenen Nachlass von Westmeyer in einem Moskauer Archiv. Die Unterlagen, 3.500 Blatt, waren 1930/31 dem dortigen Zentralen Parteiarchiv von Weggefährten Westmeyers überlassen worden. Ein Bestand wie dieser besitzt schon deswegen eine besondere Bedeutung, weil damals zu selten die Nachlässe regionaler Führer aus der Arbeiterbewegung gesichert und die Parteibüros durch die Nationalsozialisten geplündert wurden.

Friedrich Westmeyer wurde 1873 in Osnabrück geboren. Sein Vater war Maurer, er selber lernte den Beruf des Kaminbauers. In Fürth trat er der Holzarbeitergewerkschaft bei. Als Anführer eines Streiks fand Westmeyer keine Arbeit mehr und begann daher 1898 als Lokalredakteur der SPD-nahen "Fränkischen Tagespost" in Nürnberg, für die er bereits zuvor Beiträge geschrieben hatte. 1902 wechselte er als Feuilleton-Redakteur nach Hannover zum "Volkswillen". Immerhin war er in diesem Metier so erfolgreich, dass ihn Bebel 1905 aufforderte, sich beim "Vorwärts" als Redakteur zu bewerben. Westmeyer lehnte dies ab, die Gründe hierfür sind nicht bekannt. Stattdessen wechselte er zu Beginn des Jahres an die Stuttgarter "Schwäbische Tagwacht", bei der er bis 1911 blieb.

Dort geriet Westmeyer in die Konflikte zwischen Radikalen und Gemäßigten in der württembergischen SPD. Westmeyer profilierte sich als einer der Wortführer des linken Flügels und wurde SPD-Vorsitzender von Stuttgart. In der Redaktion arbeitete aber neben ihm u. a. Wilhelm Keil, einer der führenden Reformisten. Die ständigen Spannungen endeten 1911 mit der Kündigung Westmeyers durch die Landesversammlung der SPD. Westmeyer arbeitete fortan als freier Journalist, außerdem gehörte er von 1912 – 1917 dem Württembergischen Landtag an. 1917 wurde er zum Kriegsdienst eingezogen und starb im November des Jahres an einer Ruhr-Infektion.

Der Rezensent weiß nicht, was im einzelnen der Nachlaß enthält, welche Fragestellungen also auf dieser Quellengrundlage sinnvoll bearbeitet werden können. Die drei Autoren jedenfalls haben eine Arbeit vorgelegt, die zwischen einer Nacherzählung "Wie es gewesen ist" und einer Hagiographie liegt. Der größte Teil des Buches handelt von den Richtungskämpfen innerhalb der Sozialdemokratie zwischen 1905 und 1917. Stuttgart war einer der Orte, wo sie am heftigsten waren. Sehr gemäßigte und sehr radikale Parteiaktivisten waren bereits vor 1914 so zerstritten, dass die Organisation eigentlich bereits in zwei Parteien zerfallen war. Für die Autoren war die Spaltung unvermeidlich. Die besondere Bedeutung Westmeyers sehen sie darin, dass er konsequent die Position des radikal linken Flügels vertrat. Die von ihnen gegebenen Erklärungen für die zunehmenden Konflikte in der SPD sind schon häufig vorgebracht worden, werden dadurch aber nicht überzeugender. Entscheidend sei die Integration der Führer des reformistischen Flügels in den Staat gewesen. Warum aber diesen Führern so viele Parteimitglieder folgten, warum Westmeyers Linie keine Mehrheit in der Landesorganisation fand, dies bleibt unerklärt.

Das Buch soll Friedrich Westmeyer dem Vergessen entreißen. Dieses Ziel wurde erreicht – aber auch nicht mehr und auch nur sehr kurzfristig. Jenseits aller methodischen Defizite ist daran ein ganz praktisches Problem schuld: die Bindung des Buches zerfällt bereits beim ersten Lesen. Das hätte nun wirklich nicht sein müssen.

Bernd Rother, Berlin


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