Archiv für Sozialgeschichte
Rezension
Klaus Sator, Anpassung ohne Erfolg. Die sudetendeutsche Arbeiterbewegung und der Aufstieg Hitlers und Henleins 1930-1938, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1996, 390 S., brosch., 39.80 DM.
In der heutigen Forschungslage bedeutet die überarbeitete Darmstädter Dissertation von Klaus Sator eine zweifache Bereicherung und Herausforderung. Gegenüber der bisherigen bundesdeutschen Forschung, die den Kampf und Widerstand der Deutschen gegen den Nationalsozialismus bisher im wesentlichen auf das Territorium des Deutschen Reichs beschränkt hat, hebt Sator ausdrücklich die auslandsdeutsche Komponente dieses Kampfes hervor. Gegenüber der zeitgenössischen Geschichtsforschung in der Tschechischen Republik nach November 1989, in der die Geschichte der Arbeiterbewegung und der sozialistischen Parteien in der Zwischenkriegszeit fast vollständig vernachlässigt wird, macht das Buch Sators ausgiebig von dem erweiterten Zugang zu den früher geschlossenen Archivfonds und Nachlässen Gebrauch. Soweit ich es übersehen kann, ist es das erste Mal, dass die Nachlässe von Karl Kreibich, Paul Reimann und Bruno Köhler in Prag zur Erforschung der Geschichte der tschechoslowakischen Arbeiterbewegung vor dem Zweiten Weltkrieg benutzt worden sind.
Im Vordergrund des Interesses des Verfassers steht die sudetendeutsche Problematik, die sowohl für die Entwicklung der mitteleuropäischen Arbeiterbewegung als auch für die Vorgeschichte des deutschen Nationalsozialismus sehr bedeutend war. Wenn ich auch der allzu frühen Benutzung des Begriffes sudetendeutsch" (z. B. im Fall der deutschböhmischen Sozialdemokraten um und nach 1876) nicht zustimmen kann, soll die ganze Thematik nicht bloß als ein inneres Problem der böhmischen Länder behandelt werden. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung in Deutschland im Januar 1933 und nach der Niederlage der österreichischen Arbeiterkämpfer im Februar 1934 waren die Organisationen deutscher Sozialdemokraten und Kommunisten in der Tschechoslowakischen Republik bis zum Herbst 1938 ohne Zweifel die zahlreichsten und wichtigsten legal wirkenden Repräsentanten der deutschsprachigen Arbeiterbewegung, die ihren verfolgten oder emigrierten Gesinnungsgenossen aus Deutschland und Österreich eine ausgiebige Hilfe gewährten. Andererseits hatte die deutsche nationalsozialistische Weltanschauung und rücksichtslose Verachtung und Verfolgung von Fremden und Andersdenkenden ihre Wurzeln schon vor Adolf Hitler auch in der Deutschen Arbeiterpartei und im extremen Nationalismus aus den Grenzgebieten Böhmens, Mährens und Österreichisch-Schlesiens.
Nach einer umfangreichen Einleitung behandelt Klaus Sator in den ersten zwei Kapiteln die historische Entwicklung und Struktur der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakei und der in der internationalen Kommunistischen Partei organisierten sudetendeutschen Kommunisten, dann analysiert er die Tschechoslowakische Republik als territorialpolitisches Wirkungsfeld dieser Parteien. Die Darstellung des Aufstiegs und der Machtergreifung der Nationalsozialisten Adolf Hitlers in Deutschland und der Verbreitung der Sudetendeutschen Heimatfront und der Sudetendeutschen Partei Konrad Henleins in der Tschechoslowakei wird anschließend mit der Interpretation dieser Ereignisse durch die sudetendeutschen Sozialdemokraten und Kommunisten kombiniert. Zu Recht weist der Verfasser darauf hin, dass der überraschend schnelle Erfolg der Sudetendeutschen Partei nicht als die Tätigkeit einer Agentur des reichsdeutschen Nationalsozialismus erklärt werden kann, aber er selbst unterschätzt den Einfluss des jahrzehntelangen Wirkens von deutschnationalen Vereinen verschiedenster Art unter der deutschen Bevölkerung der böhmischen Länder. Ausführlich werden dann die Politikkonzeptionen der Henlein-Partei, deren sozialdemokratische und kommunistische Kritik, die politischen Kampfmethoden auf beiden Seiten und schließlich das Scheitern der Politik der Arbeiterparteien näher untersucht. Es ist beachtlich, wie das bis September 1938 bestehende parlamentarisch-demokratische Regime in der Tschechoslowakei den sudetendeutschen Sozialdemokraten und Kommunisten inmitten ihres politischen Kampfes eine tiefere und realitätsnähere Einschätzung des deutschen Nationalsozialismus im Vergleich mit den traditionellen Auffassungen der damaligen Sozialdemokraten und Kommunisten aus der Emigration oder Illegalität ermöglichte.
Jiri Koralka, Prag