Archiv für Sozialgeschichte
Rezension

Heinz Köller, Für Demokratie, Brot, Frieden. Die Volksfront in Frankreich 1935 bis 1938, Pahl-Rugenstein Verlag, Bonn 1996, 521 S., geb., 48 DM.

Mit dem vorliegenden Buch schreibt der bis zur Wende an der Humboldt-Universität lehrende Historiker seine bereits 1978 vorgelegte Darstellung »Frankreich zwischen Faschismus und Demokratie (1932 - 1934)« fort. Er will damit zugleich die Volksfront-Idee rehabilitieren und als historische »Lehre« für den heutigen »Antifaschismus« die Notwendigkeit breiter allumfassender Linksbündnisse vermitteln.
Die Darstellung setzt im Frühjahr 1934 ein, als es gegen einen drohenden Rechtsruck zu einem Bündnis der Linken kam, und folgt der chronologischen Entwicklung: von der Herstellung des formalen Volksfrontbündnisses über den Wahlsieg im Mai/Juni 1936 mit anschließender Etablierung der Regierung unter Léon Blum bis zum Scheitern der Volksfront unter Daladier in der zweiten Hälfte des Jahres 1938 an München und an der Niederlage des Generalstreiks gegen den von ihm eingeleiteten Sozialabbau. Ein kurzer Ausblick beleuchtet die Entwicklung hin zum Hitler-Stalin-Pakt, der jeglicher Neuauflage das außenpolitische Umfeld entzog, und zum Kriegsbeginn, auf den die KP mit entsprechender Unterstützung dieses Paktes reagierte.
Die umfangreiche Darstellung basiert vor allem auf der Auswertung eines Großteils der kaum noch überschaubaren Sekundärliteratur, vorliegender Quellensammlungen und ausgewählter zeitgenössischer Publikationen. In der Analyse folgt sie konventionellen Vorgaben und ist vor allem an der >großen Politik<, am Manövrieren der Parteien und an den Regierungskombinationen, besonders aber an der Außenpolitik, orientiert. Damit werden dann auch die Führungen der Organisationen zu den zentralen Akteuren. Die Widersprüche zwischen ihnen und den Erwartungen der Massen, die vor allem in der Aufbruchsphase - insbesondere während der mit dem Wahlsieg parallel verlaufenden Betriebsbesetzungen im Mai/Juni 1936 - weit über die von den Parteien verabredeten Maßnahmen hinauswollten, kommen so zu kurz. Demgegenüber scheint doch die in Daniel Guerins klassischer Studie »Front populaire, révolution manquée« von 1963 gemachte scharfsinnige Unterscheidung zwischen den zwei Volksfronten, der Massenbewegung >unten<, und der >Gipfeldiplomatie< innerhalb des Volksfrontbündnisses, viel treffsicherer die widersprüchliche Dynamik zu kennzeichnen. Dabei war es genau dieser innere Widerspruch, an dem die Volksfront letztlich scheiterte: Jedes durch die Massenbewegung erreichte Zugeständnis musste die bürgerlichen (ökonomisch wie sozial oftmals ziemlich konservativen) Bündnispartner innerhalb der Volksfront unvermeidlicherweise nach rechts treiben.
Köllers Bezugsrahmen in der großen (Außen-)politik entspricht auch, dass die vielfachen gesellschaftlichen Äußerungen der Volksfront von unten nur am Rande vorkommen. So ist ihre Alltagsgeschichte praktisch ausgeblendet. Dabei haben sich hier am nachhaltigsten im >Volksgedächtnis< die mit dieser Massenbewegung verbundenen sozialen Errungenschaften niedergeschlagen. Man denke nur an die im Juni 1936 durchgesetzten bezahlten Ferien (congés payés). Deren Eindruck gerade auch im Bewusstsein des in seiner >Sommerruhe< gestörten Bürgertums lässt sich in zahlreichen Schilderungen finden. (Noch jahrzehntelang hießen die dabei eingeführten Sonderfahrscheine der Eisenbahnen nach dem dafür verantwortlichen Politiker!) Aber man denke auch an die zahlreichen zeitgenössischen Darstellungen der Arbeitskämpfe (der Betriebsbesetzungen), die hier nur knapp berücksichtigt sind, usw. Aber selbst eine gesellschaftlich so erstrangige Organisation - um einen stärker politisch wirkenden Faktor zu nennen - wie der Gewerkschaftsdachverband CGT ist in ihrer Entwicklung merkwürdig unterbeleuchtet. Demgegenüber erscheint vor allem die KP und hier wiederum die Thorez-Führung als unbeirrt geradliniger Motor der Volksfront. Dabei werden allerdings zahlreiche Aspekte, die sich nicht zuletzt aus der Öffnung der Archive der Kommunistischen Internationale ergeben, ungenügend angesprochen. Dies fängt mit der Darstellung der Februar-Tage 1934 an, wo die KP noch am 6. in bedenklicher Nähe zu den Rechtsradikalen demonstrierte, nur um am 12. regelrecht um den Preis der vollständigen Isolierung zur gemeinsamen Aktion gezwungen zu sein. Thorez verhielt sich noch bis Ende Juni 1934 gegenüber einem Zugehen auf die Sozialisten ablehnend, stärker jedenfalls, als das Moskau wollte und hier anklingt. Ähnliches könnte man für weitere Etappen herausarbeiten, etwa an der Frage einer kommunistischen Regierungsbeteiligung. So nimmt es nicht wunder, dass die zentrale Person für die kommunistische Politik jener Jahre, Eugen Fried als Komintern-Vertreter, als Akteur gar nicht vorkommt, obwohl dessen Rolle doch schon seit längerem bekannt ist (wenn auch erst seit 1997 die minutiöse Biographie von Annie Kriegel und Stephane Courtois vorliegt).
Zudem ist das Wirken des KPF-General Sekretärs Thorez und der übrigen Parteiführung untrennbar mit dem >Stalinismus< verknüpft, der als eine allein im Vorzimmer Stalins von dessen unmittelbaren Mitarbeitern betriebene Angelegenheit erscheint (wenigstens jetzt allerdings gegenüber 1978 als Faktum auftaucht). Thorez und - in der Komintern - Dimitrov waren aber zweifellos organische Bestandteile des Stalinismus (als welche sie sich ja auch schließlich verstanden und wie das für Thorez auch detailliert in der vom Verfässer nicht herangezogenen Biographie von Philippe Robrieux beschrieben wird). Dazu gehörten nicht zuletzt die immer wieder erfolgten Schwankungen und Wendungen in der kommunistischen Linie entsprechend den sowjetischen Bedürfnissen, was hier vor allem als >Lernproblem< auftaucht (d. h. als Rückfall der Protagonisten hinter früher gewonnene Erkenntnisse beschrieben wird) und damit unverständlich bleibt, da nicht richtig erklärbar.

Dass das Vorgehen der KPF selbst oftmals das beste Argument für die Antikommunisten darstellte und zur Entfremdung innerhalb der Linken beitrug, was keineswegs das Verhalten von Blum und anderen Sozialisten exkulpieren muss, kommt somit zu kurz.
Fazit: Als eine Geschichte der gesellschaftlichen Bewegung »Volksfront« greift diese Darstellung zu kurz, als eine politische Chronologie unter Berücksichtigung der hier gegebenen Einschränkungen hat sie einen gewissen Nutzen. Dahingestellt bleiben mag das Resümee des Autors, trotz aller nur partiellen Erfolge von Volksfrontregierungen habe sie weiterhin Vorbildcharakter auch für eine zukünftige Entwicklung in Deutschland.
Eine Sache sei allerdings festgehalten. Auch bei Köller wird wie überwiegend in der Literatur zur französischen Volksfront so getan, als ob es sich bei dem Regierungsbündnis der sozialistischen und bürgerlichen Linken um eine plötzlich im Jahre 1934 neu erfundene politische Formel gehandelt habe. Gerade in Frankreich hatte dies so viele Vorläufer wie sonst nirgends: Man denke nur an das Wirken von Louis Blanc in der provisorischen Regierung nach Ausbruch der Revolution von 1848, vor allem aber an den Regierungseintritt Millerands im Jahre 1899, der seinerzeit für breite Diskussionen in der internationalen sozialistischen Bewegung sorgte.

Reiner Tosstorff, Frankfurt am Main



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