Archiv für Sozialgeschichte
Rezension

Hans Manfred Bock (Hrsg.), Les Rapports Mensuels d'André François-Poncet, Haut-Commissaire française en Allemagne 1949-1955. Les débuts de la République Fédérale d'Allemagne, Imprimerie Nationale, Paris 1996 (Vertrieb in der Bundesrepublik: Thorbecke Verlag, Sigmaringen), 2 Bde., zus. 1433 S., geb., 128 DM.

Zwischen September 1949 und Mai 1955 schickte der französische Hohe Kommissar fast jeden Monat einen längeren Bericht über die politische und wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik an seine vorgesetzte Dienststelle nach Paris. Diese insgesamt 66 Berichte liegen nun im französischen Originaltext vor, herausgegeben und kommentiert von dem durch zahlreiche Publikationen zu den deutsch-französischen Beziehungen im 20. Jahrhundert ausgewiesenen Kasseler Politikwissenschaftler Hans Manfred Bock. Es handelt sich zweifelsohne um eine Quelle ersten Ranges für jeden, der sich mit französischen Deutschlandbildern, der Aussöhnung zwischen den beiden Nachbarn und der formativen Phase der Bundesrepublik beschäftigen möchte.

In seiner ausführlichen, in Französisch und Deutsch abgedruckten Einleitung gibt Bock auf der Grundlage französischer Akten aus den „Archives diplomatiques" des französischen Außenministeriums und der einschlägigen Literatur zunächst einen Abriss über Entstehung und Aufgaben der Alliierten Hohen Kommission (AHK) im Rahmen des Dreimächte-Kontrollsystems, ehe er sich dem französischen Hochkommissariat zuwendet. Die allgemeine Handlungsanweisung für den Hohen Kommissar lautete:

„Insistieren auf der Beibehaltung der obersten Gewalt in Deutschland, Absicherung des föderativen Funktionierens der politischen Institutionen in der Bundesrepublik und Verteidigung der französischen Interessen gegenüber den Verbündeten innerhalb der AHK" (S. 100). Mit dem Auftrag, „den schwierigen Balanceakt der Abstimmung zwischen den deutschlandpolitischen Direktiven des Quai d'Orsay und den Vorstellungen der angelsächsischen Alliierten über die Entwicklung der Bundesrepublik in der Arbeit der AHK zu vollziehen", wurde Andre François-Poncet betraut, und er erledigte ihn zweifellos zur Zufriedenheit seiner Auftraggeber (S. 107).

François-Poncet, der vor dem Ersten Weltkrieg als Schüler und Student einige Zeit im badischen Offenburg, in Berlin und München verbracht und 1910 eine Arbeit über Goethes „Wahlverwandschaften" veröffentlicht hatte, war für diese Aufgabe prädestiniert wie kaum ein anderer: In den Zwanzigerjahren als Deutschlandexperte in Erscheinung getreten, hatte er von 1931 bis 1938 Frankreich als Botschafter in Berlin vertreten. Wegen missliebiger Berichterstattung war er bei der nationalsozialistischen Führung in Ungnade gefallen und von Ende 1943 bis Mai 1945 in Prominentenhaft genommen worden. Im Dezember 1948 kehrte er als deutschlandpolitischer Berater des neuen Außenministers Robert Schuman in den diplomatischen Dienst zurück, im April 1949 wurde er für das Amt des Hohen Kommissars nominiert.

Sein Bild vom Nachbarland war maßgeblich geprägt durch sein Germanistikstudium und seinen liberal-konservativen Patriotismus. Von der „politischen Gefährlichkeit und Agressivität" des Deutschen Reiches war der Franzose schon früh ebenso überzeugt gewesen wie vom „hohen universellen Wert des kulturellen Erbes der deutschen Klassik" (S. 131). In den Monatsberichten befasste er sich allerdings hauptsächlich mit den Charakteristika der politischen Kultur der Deutschen. Für François-Poncet waren dies „der Wille zur Macht, der Kult der Gewalt und die hegemoniale Überheblichkeit und Maßlosigkeit vor allem in den Außenbeziehungen, die Arbeitswilligkeit und Disziplin, die methodische und metaphysische Begabung, aber auch Unrast und Unberechenbarkeit" (S. 141). Diese negativen Züge entdeckte er insbesondere bei jenen Deutschen, die auf sofortiger Rehabilitierung, Souveränität und Wiedervereinigung beharrten, während der Teil der politischen Elite und der Bevölkerung, der gegenüber den Westmächten kooperations- und integrationswillig war, die guten Eigenschaften verkörperte. Die Sorge, dass der deutsche Nationalismus eine Renaissance erleben könnte, ließ ihn während seiner Zeit als Hochkommissar nie los. Da er den schrittweisen Abbau der alliierten Restriktionen und Kontrollen nicht verhindern konnte und wollte, setzte er sich um so nachdrücklicher für die von Jean Monnet konzipierte und von Schuman praktizierte Integrationspolitik ein, mit deren Hilfe die Bundesrepublik eingehegt werden sollte.

Die Monatsberichte thematisieren alle wichtigen politischen Ereignisse der ersten Hälfte der 1950er Jahre; zum besseren Verständnis werden im Text erwähnte Personen, Verträge und Vorkommnisse in den Anmerkungen kurz vorgestellt bzw. erläutert. Neue Erkenntnisse etwa zu den „Stalinnoten", zum Aufstand vom 17. Juni 1953 oder zum Streit um die Wiederbewaffnung bieten sie freilich nicht. Ihre Bedeutung als Quelle liegt vielmehr in der scharfsinnigen Analyse des politischen und wirtschaftlichen Geschehens in der Bundesrepublik und in der pointierten, mitunter spöttisch-herablassenden Charakterisierung der Akteure.

Am besten schneidet erwartungsgemäß Adenauer ab, der auch mit Abstand am häufigsten erwähnt wird. Zwar sah ihn der französische Hochkommissar anfangs keineswegs als „Chancelier des Allies", sondern eher als „Chancelier national" (S. 260), aber die Zweifel an der Kooperationsbereitschaft Adenauers schwanden nach und nach. Dessen Entwicklung zum „Staatsmann" schrieb François-Poncet nicht zuletzt den zahlreichen Dienstreisen ins europäische Ausland zu: „À soixante quatorze ans, il a entrepris de connaître l’Europe... Ses horizons, longtemps bornés par la cathédrale de Cologne, s'élargissent... Il s'humanise. II se découvre une vocation européenne." (S. 591) Beruhigt zeigte er sich auch dadurch, dass der Kanzler offensichtlich begriffen habe, dass eine Wiederbewaffnung außerhalb der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft den deutschen Militarismus wiederbeleben und den Aufbau der Demokratie gefährden könnte. Oft recht harsch urteilte er hingegen über andere deutsche Politiker: Die Mitglieder der ersten Bundesregierung stufte François-Poncet als „mittelmäßig" ein (S. 190); an Erhard, den er immerhin noch zu den „besseren" Kräften zählte, störte ihn der „unverbesserliche Optimismus" (S. 410), mit dem dieser die wirtschaftlichen Probleme Anfang der 1950er Jahre auszusitzen versuchte. Äußerst scharf ging er mit der SPD ins Gericht: „II se comporte comme un parti de droite, imprégné du nationalisme le plus fougeureux, hostile au rapprochement avec la France et à l'Integration de la Republique federale dans le système des démocraties occidentales." (S. 210) Gerade die Kommentare zur Sozialdemokratie muten jedoch oft ziemlich undifferenziert an. Erstaunlicherweise gilt dies auch für die Bemerkungen über die Unternehmerschaft, obwohl er vor allem zur rheinisch-westfälischen Schwerindustrie gute Kontakte unterhielt und über die Differenzen in der Industrie etwa in der Frage der europäischen Integration eigentlich hätte im Bilde sein müssen.

Das Wiederaufleben nationalistischer Tendenzen ist das eine immer wiederkehrende Thema der Monatsberichte; das andere ist der rasante wirtschaftliche und politische Aufstieg der Bundesrepublik. Die Dynamik des Wirtschaftsaufschwungs, das Tempo der politischen Rehabilitierung registrierte der französische Hohe Kommissar mit Besorgnis und Bewunderung zugleich. „Huit ans après l'ecrasante défaite de son pays, la République de Bonn s'enorguellit de sa santé!" (S. 1060), konstatierte er im November 1953. Und die Ruhrindustrie sah er Schritt für Schritt zu den alten verbundwirtschaftlichen Strukturen zurückkehren, die in der Vergangenheit ihre Macht begründet hätten (S. 1346). Dennoch, als seine Tätigkeit im Mai 1955 mit der Auflösung der Hohen Kommission endete, war er zuversichtlich, dass die Bundesrepublik dank der wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Integration auf dem „Weg der Vernunft und des Friedens" bleiben werde (S. 1400).

François-Poncets Monatsberichte, so stellt der Herausgeber in der Einleitung zu Recht fest, „vermitteln aufgrund ihrer Regelmäßigkeit, Dichte und Kohärenz ein geschlosseneres Bild der Entwicklung der jungen Bundesrepublik und der Arbeit der AHK als die recht summarischen Vierteljahresberichte, die der amerikanische Hochkommissar John McCIoy nach Washington sandte" (S. 109), und sie ergänzen sich aufs sinnvollste mit den Protokollen der Gespräche zwischen Adenauer und den Hohen Kommissaren (Adenauer und die Hohen Kommissare, hrsg. v. Hans-Peter Schwarz, München 1989/90). Die Berichte zeigen anschaulich, wie das Misstrauen langsam der Bereitschaft zur Aussöhnung und Kooperation Platz machte und welchen Anteil François-Poncet daran hatte. Und nicht zuletzt ist diese Edition ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie gut und effektiv deutsche und französische Wissenschaftler und Institutionen mittlerweile zusammenarbeiten.

Werner Bührer, München



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