Archiv für Sozialgeschichte
Rezension

Der Parlamentarische Rat 1948-1949. Akten und Protokolle, herausgegeben vom Deutschen Bundestag und vom Bundesarchiv.
Bd 10: Ältestenrat, Geschäftsordnungsausschuss und Überleitungsausschuss, bearb. v. Michael F. Feldkamp, Harald Boldt Verlag im R. Oldenbourg Verlag, München 1997, XXXIII, 255 S., geb., 72 DM;
Bd 11: Interfraktionelle Besprechungen, bearb. v. Michael F. Feldkamp, Harald Boldt Verlag im R. Oldenbourg Verlag, München 1997, 309 S, geb., 78 DM.

Der mit großem öffentlichem Interesse begangene 50. Jahrestag der Verabschiedung des Grundgesetzes hat Inhalt und Charakter unserer Verfassung erneut in das allgemeine Bewusstsein gehoben. Zwar fehlt es noch immer an einer quellengestützten neueren Darstellung zur Entstehung des Grundgesetzes, doch sind mit der vom Deutschen Bundestag und vom Bundesarchiv gemeinsam herausgegebenen Aktenedition »Der Parlamentarische Rat 1948-1949« entscheidende Voraussetzungen für eine solche Arbeit geschaffen worden. Im Mittelpunkt der bisher veröffentlichten Bände standen die Verhandlungen im Plenum und in den Fachausschüssen, in denen die einzelnen Artikel des Grundgesetzes Gestalt annahmen (allein die Akten und Protokolle des Hauptausschusses stehen noch aus). Dies wird nun ergänzt um die Beratungen von Ältestenrat, Geschäftsordnungsausschuss und Überleitungsausschuss sowie von interfraktionellen Besprechungen. Es ist dem Bearbeiter gelungen, aus einer eher disparaten Materiallage - halbamtliche Mitschriften, wenige ausführliche Protokolle, private Aufzeichnungen sowie andere Aktenstücke - den Verlauf der entsprechenden Beratungen zu rekonstruieren und die hier getroffenen Entscheidungen zu dokumentieren.
Die Protokolle von Ältestenrat und Geschäftsordnungsausschuss lassen Selbstverständnis und Geschäftsgewohnheiten des Parlamentarischen Rates als gesetzgebender Versammlung deutlich werden. Indem formal und inhaltlich an entsprechende Gremien wie auch Verfahren in älteren deutschen Parlamenten angeknüpft wurde, bilden sie einen wichtigen Teil in einer Gesamtgeschichte des Parlamentarismus in Deutschland. Aber auch für die Beratungen in Bonn selbst waren diese Ausschüsse wichtig, wurden darin doch Anzahl und Zusammensetzung der Fachausschlüsse beschlossen und der Ablauf der Grundgesetzarbeit festgelegt. Gerade die Koordinationsfunktion, die für eine zügige Beratung unumgänglich war, wird aus den abgedruckten Dokumenten deutlich. Der Überleitungsausschuss schließlich sollte Fragen regeln, die im Zuge der Schaffung eines westdeutschen Staates nach der Verabschiedung des Grundgesetzes bis zur Wahl des Bundestages und der Konstituierung einer Bundesregierung anstehen würden. Er überschnitt sich somit mit entsprechenden Maßnahmen der Ministerpräsidenten, sodass schließlich eine Koordinierung vereinbart wurde.
Die interfraktionellen Besprechungen waren ein wesentliches Mittel, um zwischen den Parteien Kompromisslinien in strittigen Fragen auszuloten und festzuklopfen. Sie boten ein informelles Beratungsgremium, wo missliebige Parteien - etwa die KPD - ausgeschlossen oder wo kleinere Partner - Zentrum, Deutsche Partei - ebenfalls in bestimmten Fragen nicht beteiligt wurden. Dies zeigte sich deutlich im Fünferausschuss (zwei Vertreter der CDU, zwei der SPD, einer der FDP) bzw. im Siebenerausschuss (um je einen Vertreter von Zentrum und Deutscher Partei erweitert), die als gleichsam formalisiertes Gremium interfraktioneller Besprechungen vor allem im Frühjahr 1949 vor der dritten Lesung des Grundgesetzes wichtige Weichenstellungen zur Verabschiedung der Verfassung trafen. Darüber hinaus boten interfraktionelle Besprechungen ein Forum, um Kontakte zu den Alliierten, zu Sachverständigen oder auch zu anderen, für den Parlamentarischen Rat wichtigen Personen zu halten. Wie aus der Dokumentation deutlich wird, sind die wichtigsten Streitpunkte in den Verfassungsberatungen - Zweite Kammer, Finanzverfassung, Schulfragen - in den interfraktionellen Besprechungen ausführlich beraten und in dieser informellen Runde Lösungen konzipiert worden, die dann anschließend in den entsprechenden Fachausschüssen und im Plenum übernommen werden konnten. Damit sind diese Beratungen ein wichtiger Teil der Arbeit an unserer Verfassung.

Marie-Luise Recker, Frankfurt am Main



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