Archiv für Sozialgeschichte
Rezension

Brigitte Kassel, Frauen in einer Männerwelt. Frauenerwerbsarbeit in der Metallindustrie und ihre Interessenvertretung durch den Deutschen Metallarbeiter-Verband (1891-1933). (= Schriftenreihe der Otto Brenner Stiftung 66), Bund-Verlag Köln 1997, 725 S., kart., 139 DM.

Mit ihrer umfassenden Untersuchung legt Brigitte Kassel einen eminent wichtigen Beitrag zur Geschichte der Frauenerwerbsarbeit und zur Geschichte der Gewerkschaften vor. Anders als der klassische Sektor der Frauenerwerbsarbeit, die Textilindustrie, blieben Erwerbstätigkeit und gewerkschaftliches Verhalten von Frauen in der Metallindustrie bislang unerforscht, und ebensowenig wurde bisher thematisiert, ob und wie der Deutsche Metallarbeiter-Verband (DMV), die stärkste Gewerkschaft in der Weimarer Republik, die Interessen der Arbeiterinnen vertrat. In ihrer sehr strukturiert gearbeiteten und lebendig geschriebenen Studie fragt Kassel nach dem Beitrag, den der DMV zur Formierung und Stabilisierung der Geschlechterhierarchie auf dem Arbeitsmarkt, in Haushalt und Familie leistete. Sie will ausloten, ob gewerkschaftliche Frauenpolitik über Lippenbekenntnisse wie die bekannte Forderung "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" hinaus für die Arbeiterinnen überhaupt einen Zuwachs an Gleichberechtigung anstrebte.

Die Antworten auf diese Frage präsentiert Kassel in drei Schritten. Zunächst stellt sie im Rahmen einer Arbeitsmarkt-Analyse die geschlechtsspezifische Segregation der Arbeitsplätze in der Metallindustrie dar. Das Fundament für ihre Argumentation legt sie im Kapitel "Frauenarbeit"–"Männerarbeit" (S. 72-105), in dem sie am Beispiel der Metallspielwarenherstellung, der Stahlfederproduktion, der Dreharbeit und typischer Maschinenarbeit die von Frauen in der Metallindustrie eingenommenen Arbeitsplätze beschreibt und mit denen von Männern vergleicht, um den Topos der ungelernten, randständigen Frauenarbeit in den Großbetrieben der männerdominierten Metallindustrie zu überprüfen. Maßgebliches Kennzeichen für Frauenarbeit, so ihr Ergebnis, ist die Größe, präziser Kleinheit des zu produzierenden oder zu montierenden Produkts gewesen (S. 86) und die Größe der zu benutzenden Maschine (S. 88). Die Trennungslinie zwischen Frauen- und Männerarbeit, deren Verlauf von diesen beiden Kriterien vorgegeben wurde, war allerdings nur für Frauen unüberwindbar. Die Beschränkung von Frauen auf einige wenige Arbeitsplätze wurde auf offenbar rationale Weise mit dem Geschlechtscharakter von Frauen begründet, wie die einschlägigen Stichworte der Monotonieresistenz oder der Geschicklichkeit belegen. Diese rigorose Trennung verhinderte, dass es je zur Konkurrenz beider Geschlechter um einen Arbeitsplatz kommen konnte. Durch den Ausschluss von formalisierten Ausbildungen wurde die Unterordnung von Frauen in der Statushierarchie zementiert und Qualifikation als männliches Privileg bestätigt. Der DMV setzte diese diskriminierende Platzierung in seinen Statistiken fort, in denen neben Bohrern, Fräsern, Schleifern u. a. für Frauen lediglich die Rubrik "Arbeiterinnen" aufgeführt wurde.

Im zweiten Schritt untersucht die Verfasserin, welchen Platz der DMV den Metallarbeiterinnen in der Gewerkschaft zuwies (S. 170-372). Sie analysiert die Mitgliederentwicklung, stellt exponierte Gewerkschafterinnen vor, sucht nach Arbeiterinnen als Zielgruppe in der Mitgliederwerbung des Verbandes und stellt die Aufgabenfelder und Funktionen in der Gewerkschaftsarbeit dar. Die geschlechtshierarchische Positionierung, die innerhalb des DMV funktionierte, band Funktionsträgerinnen fest an weibliche Mitglieder und an "weibliche" Tätigkeitsfelder. Dieser Separatismus erleichterte nicht zuletzt den Ausschluss von Frauen aus der "eigentlichen" Gewerkschaftspolitik, d.h. aus der Tarifpolitik.

Der letzte und umfassendste Teil der Studie ist der Frauenpolitik des DMV gewidmet (S. 373-623). In diesem Abschnitt werden die programmatischen Aussagen des DMV mit seiner Lohn- und Tarifpolitik konfrontiert, die die Lohndiskriminierung von Frauen weitgehend sanktionierte. An der Analyse der programmatischen Forderungen ist hervorzuheben, dass die Verfasserin die vom DMV verwendeten Begriffe wie "gleiche Arbeit", "gleiche Leistung", "Leistungsfähigkeit" gleichsam seziert und deren Politiktauglichkeit in Frage stellt. In ihrer detaillierten Untersuchung der Tarifpolitik weist Kassel sehr präzise und einleuchtend nach, dass die Lohn- und Tarifpolitik des DMV bis 1933 am Familienlohn orientiert und Frauenlohndiskriminierung in der Weimarer Republik akzeptierter Alltag blieb. Sie führt aus, wie die Eingruppierung von Arbeitskräften in den Tarifverträgen für Männer in mehrere Gruppen differenziert erfolgte, wobei die Grenzen zwischen den Gruppen durchlässig blieben, während Metallarbeiterinnen ohne Berücksichtigung ihrer Qualifikation eine einzige Gruppe bildeten. Als Ende der Zwanzigerjahre statt der Arbeitskraft der Arbeitsplatz die Grundlage der Lohngruppen in den Tarifverträgen bildete, änderte sich an der Diskriminierung der Metallarbeiterinnen nichts. Die verhandelnden Tarifparteien übertrugen die Definition von "reiner Frauenarbeit" auf die Arbeitsplätze. Glühlampen-Arbeiterinnen beispielsweise galten bei der Arbeitsvermittlung als Facharbeiterinnen, doch ihr Arbeitsplatz wurde in die beiden niedrigsten Lohngruppen eingestuft (S. 498). Ausgangspunkt aller Tarifverhandlungen war die stillschweigende Übereinkunft, Frauen und Männern keine gleichen Löhne zu zahlen, weshalb Zuschläge zum Männerlohn wie Ehefrauen- und Kinderzulagen und Abschläge vom Frauenlohn ("Frauenabschlag") vereinbart wurden. Auch am Beispiel der Akkordpreisbildung rechnet Kassel vor, wie bei einer von Männern wie von Frauen ausgeführten Tätigkeit zwei unterschiedliche Akkordpreise eingeführt wurden, um die übliche 30%-ige Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen zu erhalten (S. 500f.). Integrations- und Ausschlussmechanismen von Frauen verliefen auf dem Arbeitsmarkt, im Betrieb und in den Gewerkschaften parallel. Trotz dieser kumulierten Erfahrungen von Diskriminierung organisierten sich Frauen im DMV; sie äußerten ihren Protest gegen die Gewerkschaftspolitik nicht zuletzt mit ihrem Austritt oder mit spontanen Aktionen, die auch als Affront gegen die Verbandsautorität wirkten. Die Frauenpolitik des DMV blieb in den 1920er Jahren noch unsystematisch und unorganisiert, sie wurde nach wie vor lokal betrieben. Insgesamt, so bilanziert die Autorin, erweise sich die Geschichte des DMV als die Geschichte einer Männergewerkschaft, die in den Topoi der "Unorganisierbarkeit" und der "Verführbarkeit" ihre ablehnende Haltung zu Metallarbeiterinnen ausgedrückt habe und deren Ziel wesentlich das Herstellen und Perpetuieren männlicher Dominanz gewesen sei.

Brigitte Kassels Untersuchung über Frauen in der Metallindustrie und Frauenpolitik im DMV eröffnet, gemeinsam mit dem Buch von Kathleen Canning über Textilarbeiterinnen und den DTV, eine völlig neue Sicht auf die Erfahrungen von Frauen in der Arbeitswelt und in den Gewerkschaften. Kassel wirft gerade mit ihrer vorbehaltlosen Analyse der noch immer virulenten Allgemeinplätze – etwa der Unorganisierbarkeit von Frauen, ihrer fehlenden Qualifikation als Ursache ihrer Minderbezahlung, ihrer Fluktuation als Grund ihrer fehlenden Aufstiegschancen, ihrer Verführbarkeit als Ausweis ihrer politischen Unzuverlässigkeit – ein grelles Licht auf diejenigen Konstruktionen, mit denen der DMV seine politischen Entscheidungen begründete. Das Nachdenken über Arbeiterinnen und Arbeiter, über ihre Chancen, ihre Ziele und ihr Verhalten auf dem Arbeitsmarkt, im Betrieb und in den politischen Organisationen, gewinnt von diesen Ergebnissen der Geschlechtergeschichte ausgehend eine noch seltene Tiefenschärfe. Neue Fragen, etwa, woher das Gespenst der "Schmutzkonkurrenz" überhaupt seine Glaubwürdigkeit bezog, können gestellt werden. Die Gesellschaftspolitik der Gewerkschaften und der Unternehmer kann, dies zeigt Kassels Studie mit aller Deutlichkeit, ohne geschlechtergeschichtliche Fragestellungen nicht sinnvoll untersucht werden.

Christiane Eifert , Berlin



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