Archiv für Sozialgeschichte
Rezension

Miloš Hájek/Hana Mejdrová, Die Entstehung der III. Internationale, Edition Temmen, Bremen 1997, 345 S., geb., 68 DM.

Miloš Hájek gehörte zusammen mit seiner Frau - beide von ihrer Position als Historiker aus - zu denjenigen tschechoslowakischen Intellektuellen, die mit der kritischen Infragestellung der stalinistischen Dogmen den 'Prager Frühling' vorzubereiten halfen. Hájek selbst war während dieser Zeit Direktor des Parteigeschichtsinstituts. Beiden wurde in der Zeit nach 1968 - konsequent aus der Sicht der pro-sowjetischen 'Normalisierer' - die Arbeitsstätte genommen, bis sie im Gefolge der 'samtenen Revolution' rehabilitiert wurden. In diesen zwanzig Jahren gaben sie aber ihre Bemühungen nicht auf – trotz aller Repressalien, trotz aller Versuche, sie von jeglicher wissenschaftlicher Aktivität und Literatur fernzuhalten. Sie setzten, dabei unterstützt von Freunden aus dem Ausland, nicht zuletzt aus den Parteien des 'Eurokommunismus', ihre historischen, vor allem der Geschichte des Kommunismus gewidmeten Forschungen fort, wobei sie diese Tätigkeit nicht losgelöst von ihrem Engagement für die Charta 77 sahen. Mitte der Siebzigerjahre konnten sie die nun in deutscher Übersetzung vorliegende umfangreiche Geschichte der Anfangszeit der Kommunistischen Internationale (Komintern) verfassen, die die Jahre 1919 bis 1921 behandelt. Die Autoren gehen damit über den Zeitraum zurück, den Hájek in einer Darstellung von 1969 untersucht hat. Dieses erste Buch, das sich auf die Einheitsfrontpolitik konzentrierte, setzte mit deren Formulierung im Jahre 1921 ein und reichte bis zum siebten Weltkongress 1935. Es konnte damals noch in der Tschechoslowakei erscheinen und wurde dann, während es hierzulande kaum zur Kenntnis genommen wurde, ins Italienische und Spanische übersetzt - nicht aus Zufälligkeit, sondern für ein an den theoretischen Grundlagen des Eurokommunismus interessiertes Publikum.

Die vorliegende Arbeit konnte demgegenüber in der Heimat der Autoren nur als Samizdat-Manuskript zirkulieren und liegt in der deutschen Übersetzung überhaupt zum ersten Mal als Buch vor, dessen Erscheinen durch die Unterstützung einer Reihe von Kollegen in der Bundesrepublik möglich wurde. Darin wird nun ausführlich beschrieben, wie sich die sozialistische Anti-Kriegs-Linke unter dem Eindruck der Oktoberrevolution wie auch der revolutionären Welle 1918/19 in Mitteleuropa (Räterepubliken) in eine kommunistische Strömung verwandelte. Dabei wirkte die von den Bolschewiki im März 1919 in Moskau noch fast ohne Beteiligung aus dem Westen ins Leben gerufene Komintern als Katalysator. Die Gründung setzte dann einen Polarisierungsprozess in der Sozialdemokratie in Gang, der aber ohne die Enttäuschung über die Ergebnisse der Nachkriegsentwicklung keine solche Ergebnisse gezeitigt hätte. Erst im Verlaufe des Jahres 1920 bildeten sich die kommunistischen Massenparteien, deren politisch-ideologische Ausrichtung nach dem bolschewistischen Vorbild das besondere Anliegen der Komintern war. Dazu hatte ihr zweiter Weltkongress im Sommer 1920 die berühmten "21 Aufnahmebedingungen" festgelegt, deren Ratifizierung durch die radikalisierten Arbeiterparteien den organisatorischen Bruch mit dem jeweiligen sozialdemokratischen Flügel und die Umwandlung in eine kommunistische Partei herbeiführte. Die Darstellung endet mit den Parteitagen, auf denen dies passierte (in Deutschland, Frankreich, Italien und der Tschechoslowakie) und den ersten Schritten zu Beginn des Jahres 1921. Bedenkenswerte Reflexionen über die Oktoberrevolution und den historischen Ort der kommunistischen Bewegung, d. h. ihre geschichtliche Bedingtheit, schließen den Band ab, dem leider ein Register fehlt.

Die beiden Autoren sind vor allem an der Politik und der Auseinandersetzung um die zentralen Fragen der Programmatik interessiert, folgen also dem 'klassischen' politikgeschichtlichen Paradigma. Die organisatorische Entwicklung der Internationale, der Aufbau ihres Apparates, ist eher unterbelichtet (was allerdings zugegebenermaßen ohne Archivzugang auch nur sehr schwierig aufzuarbeiten war). Da im Mittelpunkt die Herausbildung der Massenparteien in der neuen Internationale steht, ist die Aufmerksamkeit fast ganz auf Europa gerichtet (von Bemerkungen etwa über die Programmatik zur 'nationalen und kolonialen Frage' einmal abgesehen). Das verstellt doch vielleicht zu sehr den Blick darauf, dass die Komintern im Unterschied zur Zweiten Internationale eine wirkliche Internationale sein wollte. Deshalb wurden bereits schon unmittelbar nach ihrer Bildung erste Schritte in diese Richtung eingeleitet, selbst wenn sie breite Erfolge erst nach dem hier behandelten Zeitraum erlangen sollte. Des weiteren konzentriert sich die Darstellung zu sehr auf die Auseinandersetzung in den sozialdemokratischen Parteien. Der revolutionäre Syndikalismus war aber in einer Reihe von Ländern nicht unwesentlich daran beteiligt, den Parteien eine Arbeiterbasis zu verschaffen (weswegen die Bolschewiki schließlich auch der Schaffung einer formal eigenständigen revolutionären Gewerkschaftsinternationale zustimmten), was stärker hätte berücksichtigt werden müssen.

Der Band basiert vor allem auf der Auswertung der zeitgenössischen Veröffentlichungen und der Forschungsliteratur, die sich gerade zu Anfang der Siebzigerjahre durch das Erscheinen zahlreicher Darstellungen über die Herausbildung kommunistischer Parteien auszeichnete. Da Hájek und Mejdrová nur den Forschungsstand zur Mitte der Siebzigerjahre wiedergeben können, hätte es sich empfohlen, in einem Nachwort die Forschungsergebnisse der letzten fünfzundzwanzig Jahre zu skizzieren, auch im Hinblick auf neue, etwa sozialgeschichtliche Fragestellungen. Zumindest hätte dem Band eine entsprechende Bibliographie beigegeben werden können.

Ist es dann überhaupt sinnvoll, eine solche Arbeit trotz einer so langen Zeit nach ihrer Abfassung herauszugeben? Dafür gibt es tatsächlich eine Reihe von Gründen. Zunächst stellt dieser Band eine Hommage an die beiden Verfasser und und ihr bemerkenswertes Wirken dar. Doch sei auch hervorgehoben, dass das Thema Komintern heute nicht gerade Mode ist. Obwohl die Archive inzwischen seit einem Jahrzehnt zugänglich sind und dies auch schon zu neuen Erkenntnissen beigetragen hat, sind doch außer der 1997 in Frankreich erschienen Gesamtgeschichte der Komintern von Pierre Broue noch keine ähnlich breit angelegte Darstellungen wie die von Hájek und Mejdrová vorgelegt worden. Bis zum Erscheinen von neuen Synthesen (und vielleicht auch noch darüber hinaus) wird man ihren Band zweifellos mit Gewinn lesen können.

Reiner Tosstorff, Frankfurt/Main



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