Archiv für Sozialgeschichte
Rezension

Miranda Pollard, Reign of Virtue. Mobilizing Gender in Vichy France, The University of Chicago Press, Chicago 1998, XXI, 285 S., kart., 20 $.

Die Institutionalisierung von »Gender studies« und die wachsende Bedeutung von »French Studies« an den historischen Fakultäten der britischen, amerikanischen und kanadischen Universitäten haben in den letzten Jahren zahlreiche Arbeiten zu Frankreich aus feministischer Perspektive entstehen lassen. Dabei geht der Trend weg von einer »Geschichte der Frauen«, die sich als Ergänzung der konventionellen, exklusiv männlichen Geschichtserzählung versteht, hin zu einer durch die feministische Perspektive radikal veränderten neuen Version der allgemeinen politischen Geschichte. In Miranda Pollards Studie über Vichy geht es nicht darum, den vergessenen oder verschwiegenen Anteil der Frauen an der Geschichte der Jahre 1940 bis 1944 wiederherzustellen. Sie will vielmehr nachweisen, dass die Politik des Vichy-Regimes durchgängig die soziale Ungleichheit zwischen Männern und Frauen betonte und verschärfte, und dass eine neue Definition der Rolle der Geschlechter essentiell für Vichys Programm der »Nationalen Revolution« war. Obwohl Frauen nicht wahlberechtigt waren, war ihre politische Mobilisierung für den Erfolg Vichys entscheidend.

Pollards Methode ist die Diskursanalyse; ihr reicher Quellenbestand umfasst Reden und Verlautbarungen, Broschüren, Gesetzestexte und Plakate des Vichy-Regimes, aber auch Texte von Beamten, katholischen Lobbyisten und Funktionären der Familienverbände, wobei nicht immer deutlich ist, wieweit sie repräsentativ für »Vichy« waren. Ihre ausführlichen Textanalysen und Bildbeschreibungen kontrastiert die Autorin mit Eindrücken aus der harschen Realität des besiegten und besetzten Frankreichs, die sich in beklemmenden Einzelschicksalen spiegelt. Dieser Kontrast, diese sich schnell vertiefende Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit des État français erklären den Stimmungsumschwung in der Bevölkerung und das rasche Scheitern der »nationalen Revolution«. Schon Ende 1942/Anfang 1943 ließ Vichy den größten Teil seiner Agenda für ein neues Frankreich fallen. Statt mit rigorosen Beschäftigungsverboten im öffentlichen Dienst die Frauen zurück an den heimischen Herd zu zwingen, wo sie durch die Aufzucht zahlreicher Kinder Frankreichs »nationale Wiedergeburt« vorbereiten sollten, zog die Regierung nun die Frauen für die Kriegswirtschaft im Dienste der Besatzer heran.
Für eine Untersuchung der eigentlichen Frauenpolitik des Vichy-Regimes bleibt also ein verhältnismäßig kurzer Zeitraum von kaum zwei Jahren. Welche Wirkung konnte der Diskurs über die Frau am Herd in dieser kurzen Zeit entfalten, wenn - wie Pollard immer wieder einräumt - den Worten keine Taten folgten, weil die Mittel für eine großzügige Familienförderung fehlten oder weil gesetzliche Maßnahmen im administrativen Chaos am »Hofe« des Marschalls steckenblieben?
Pollard verteidigt die Relevanz ihrer Studie mit dem Argument, dass schon der Diskurs allein Aussagen über die Natur des Regimes erlaube, die hinsichtlich der Frauen- und Familienpolitik sogar auf andere »rechte« Regime übertragen werden könnten. Darüber hinaus versucht, sie Kontinuitäten zwischen der Sprache und Politik der späten III. Republik und der Vichys aufzuzeigen: z.B. die Sorge um die niedrige Geburtenrate, die staatliche Förderung kinderreicher Familien und Versuche, Frauen in die Rolle der Hausfrau und Mutter zurückzudrängen. Ihr Ziel ist, eine »antifeministische«, »familiaristische« Tradition in der französischen Geschichte nachzuweisen, die nach 1944 fortgewirkt habe. Interessant ist z.B. der Hinweis, dass Vichy bis heute in den Geschichtsbüchern als »familienfreundlich« gilt, ein posthumer Erfolg der Propaganda demnach, der eine ausführliche Studie verdient hätte. Um die These abzusichern, fehlt jedoch nicht nur eine präzise Definition von »Familiarismus« (die Definition von Antifeminismus findet sich auf S. 202), sondern auch eine vergleichende Perspektive. Wenn der französische Gesetzgeber 1938 Frauen das Recht zusprach, gegen die Bestimmung des Wohnsitzes durch den Ehemann zu klagen, so kann dies im Vergleich zu den einschlägigen Paragraphen des BGB kaum die Dominanz eines spezifisch französischen »patriarchal and familial discourse« (S. 17) belegen. Und wenn eine Initiative der Vichy-Regierung, die Ortszuschläge für Beamte nach Kinderzahl zu staffeln, am Widerstand des Finanzministeriums scheiterte, das am »republikanischen« Prinzip »gleicher Lohn für gleiche Leistung« festhielt, so sagt dieses Scheitern - wiederum im Vergleich zu Deutschland - vielleicht mehr über Frankreichs Traditionen aus als die Initiative selbst. Hier zeigt sich die Problematik einer Diskursanalyse, deren Objekt nicht die Propaganda Vichys ist, sondern die nachweisen will, dass diese Propaganda das Familienleben, die Erziehung und die Arbeitswelt französischer Frauen »signifikant« veränderte. Zumindest im Bereich der Schule, wo die wichtigste Neuerung laut Pollard die Einführung von Hauswirtschaftslehre als Pflichtfach für Mädchen war, bleiben dem Leser Zweifel.
Anders verhält es sich mit der Arbeitsmarktpolitik Vichys, die zwei Jahre lang tatsächlich von massiven Restriktionen für Frauen gekennzeichnet war. In diesem Kapitel wird dann auch deutlich, welchen Beitrag die feministische Forschung zum Verständnis des Vichy-Regimes leisten kann. Vichys Paternalismus strebte nämlich die Wiederherstellung der »natürlichen« Hierarchie von Mann und Frau ebenso an wie die von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die Neudefinition der Geschlechterrollen war Teil eines umfassenden Gesellschaftsprojektes, das soziale Harmonie statt Konflikt, Parteienstreit, Klassen- oder Geschlechterkampf versprach. »Reign of virtue« zeigt, dass Gender-Studien eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung für die Diskussion des Paternalismus sind, der nun in der Tat eine bis weit in die III. Republik zurückreichende Tradition hatte und die dominierende Ideologie der französischen Arbeitgeberschaft war.

Sabine Rudischhauser, Shanghai



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