Archiv für Sozialgeschichte
Rezension

Ben Lieberman, From Recovery to Catastrophe. Municipal Stabilization and Political Crisis in Weimar Germany, Berghahn Books, New York/Oxford 1998, 215 S., geb., 25 £.

Die Schwächen und der Zusammenbruch der Weimarer Republik haben in der historischen Forschung große Aufmerksamkeit gefunden. Zahlreiche Wissenschaftler haben in Abhandlungen und Studien versucht, das Scheitern der ersten deutschen Demokratie zu analysieren und zu ergründen. Als Resultat des überwiegenden Teils dieser Studien lässt sich festhalten, dass das »System von Weimar« keine Erfolgsgeschichte war und an inneren Widersprüchen, Strukturschwächen sowie an äußeren Zwängen zugrunde gehen musste, wofür vielfältige Ursachen genannt werden. Diese - fast ausschließlich - negative Sichtweise der Dinge hält Ben Lieberman für revisionsbedürftig. Auch wenn eine Gesamtbilanz der Weimarer Republik nicht positiv ausfallen kann, so wird seiner Ansicht vieles durch den Blick auf ihr Ende und den Aufstieg des Nationalsozialismus zu negativ bewertet. Lieberman unternimmt daher den Versuch, die bisherige Sichtweise etwas »gegen den Strich zu bürsten«, indem er positive Aspekte politischen Handelns und wirtschaftlicher Investitionstätigkeit hervorhebt: Seiner Meinung nach war die Kommunalpolitik ein Feld, in dem beachtliche Erfolge erzielt und erhebliche infrastrukturelle Verbesserungen erreicht wurden.
Lieberman benennt vor allem die Bereiche städtischer Politik, in denen Erfolge verbucht werden konnten. Dabei handelt es sich um soziale Fürsorge, Kulturpolitik, Infrastrukturpolitik und Standortpolitik. Durch Investitionen für den Ausbau sozialer Einrichtungen, die Schaffung neuer Infrastruktureinrichtungen, aber auch durch großes Engagement vieler Kommunen im Bereich von Sport und Kultur ließen sich zahlreiche Verbesserungen für die Bürger der Städte und eine moderne Stadtstruktur erreichen. Lieberman weist jedoch auch auf die politischen Querelen hin, auf stabile und zerplatzte Koalitionen, die die Durchführung solcher Maßnahmen ermöglichten bzw. in einigen Fällen verhinderten. Sein Urteil über die städtische Investitionspolitik besagt, dass diese in erheblichem Ausmaß zur Verbesserung der Lebensbedingungen beitrug. Andererseits macht er aber auch deutlich, dass angesichts gewachsener Handlungsspielräume nach der Inflation in den Kommunen die Konkurrenz unter einzelnen Städten um besondere Prestigeobjekte wuchs. Dennoch spricht Lieberman den Bürgermeistern oder Stadtverordneten mehr Augenmaß in ihrem politischen Handeln zu als den Politikern auf Reichs- oder Länderebene.
Kommunalpolitik in der Weimarer Republik bedeutete in der Interpretation Liebermans zugleich eine Zerreißprobe zwischen städtischen und Reichsinteressen. Darin ist ihm zuzustimmen, denkt man an die Auseinandersetzung über die angeblich zu hohe städtische Verschuldung für »Luxusausgaben«, wie sie vor allem vom damaligen Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht gebrandmarkt wurde. Lieberman betont zu Recht, dass der Interessenkonflikt zwischen weitsichtigen Stadtvätem, die nach der Stabilisierung der Mark die Infrastruktur ihrer Städte modernisieren wollten, und Politikern, die auf Budgetausgleich bedacht waren, in der zweiten Hälfte der Weimarer Republik ein Politikum ersten Ranges war. Ob sich eine derart klar abzugrenzende Kluft zwischen »Modernisierern« auf städtischer Ebene sowie kameralistischen Traditionalisten in der Reichsregierung und der Reichsbank feststellen lässt, wie der Autor glaubt, bleibt jedoch fraglich.
Aus der Retrospektive betrachtet hatten die Kritiker der freigebigen städtischen Ausgaben- und Investitionspolitik Recht, da die öffentliche Verschuldung fraglos mit dazu beitrug, dass das Finanz- und Kreditsystem der Weimarer Republik auch nach dem Ende der Inflation instabil blieb. Konnten die Stadtväter jedoch den Kollaps des deutschen Bankwesens und die dadurch hervorgerufene Verschärfung der Wirtschaftskrise voraussehen? Kann man ihnen einen Vorwurf machen, dass sie nach Weltkrieg und Inflation zielgerichtet damit begannen, ihre Kommunen zu modernisieren, um sich einerseits im Wettbewerb der Städte behaupten zu können, und um andererseits ihren Bürgern ein höheres Maß an Lebensqualität zu bieten? Lieberman weist auf die Problematik von Handlungsspielräumen und Sachzwängen in der städtischen Investitionspolitik hin, wobei er bei der Beantwortung der oben aufgeworfenen Fragen für die Kommunalvertreter Partei ergreift. Wenn diese Sichtweise auch etwas zu einseitig erscheint, so ist Liebermans Buch doch ein interessanter Beitrag, die bisherige Interpretation der Wirtschaftsentwicklung während der Weimarer Republik zu modifizieren. Die Weimarer Wirtschaft konnte durchaus Erfolge vorweisen, wenngleich diese aus heutiger Sicht nicht immer genügend fundiert waren. Liebermans Verdienst ist es, darauf hingewiesen zu haben, dass ein Teil dieser Erfolge auf der Ebene der Kommunalpolitik nicht in Vergessenheit geraten ist. Andererseits bleibt festzuhalten, dass Lieberman vielfach die wirklichen Schwachstellen und Konfliktfelder im »System von Weimar« in seiner Interpretation des historischen Prozesses dieser Zeit nicht genügend in Betracht zieht.

Harald Wixforth, Dresden



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