Martin Lengwiler
Im Schatten der Arbeitslosen- und Altersversicherung
Systeme der staatlichen Invaliditätsversicherung nach 1945 im europäischen Vergleich
Der Beitrag untersucht die Genese und den Verlauf sozialstaatlicher Krisendiskurse am Beispiel der Versicherung des Invaliditäts-, beziehungsweise des Behinderungsrisikos. Präsentiert werden vier Fallstudien: Italien, die Niederlande, die Schweiz und die Bundesrepublik Deutschland. Einerseits wird nach den institutionellen Bedingungen, unter denen Krisendiskurse manifest werden, gefragt; andererseits ist von Interesse, wie weit sich die Fallbeispiele zu einer gemeinsamen europäischen Krisenkonstellation zusammenfügen. Der Beitrag verweist auf eine Reihe institutioneller Faktoren, die ein Sozialversicherungssystem krisenanfällig machten. So zeigen versorgungsorientierte, auf Geldtransfers beruhende Systeme (beispielsweise Italien oder die Niederlande) eine höhere Krisenanfälligkeit als Systeme mit einem hohen Integrationszwang (Deutschland). Außerdem waren zentralisierte Systeme (Schweiz) leichter aus den Fugen zu bringen als fragmentierte Systeme mit immanenten checks-and-balances (Deutschland). Angesichts der Eigenheiten der vier Krisendiskurse ist es schwierig, ein zusammenhängendes europäisches Bild zu zeichnen. In Italien wurden z.B. Invaliditätskosten im Rahmen der Renten- und der Arbeitsmarktpolitik, in den Niederlanden vorwiegend der Arbeitsmarktpolitik, in der Schweiz als gesundheitspolitisches Phänomen diskutiert. Auch die zeitlichen Schwerpunkte der Krisendebatten liegen weit auseinander, von den 1970er-Jahren in Italien bis zu den 1990er-Jahren in der Schweiz.