ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Archiv für Sozialgeschichte
Band XLVI/ 2006 - Zusammenfassungen


Britta Lenz

Vereint im Verein? Städtische Freizeitkultur und die Integration von polnischen und masurischen Zuwanderern im Ruhrgebiet zwischen 1900 und 1939

Die Ruhrgebietsstädte erfuhren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch Zuwanderung ein enormes Wachstum. Zwischen der Reichsgründung und dem Zweiten Weltkrieg wanderten alleine etwa eine halbe Million Polen und Masuren aus den preußischen Ostprovinzen in das Ruhrgebiet zu. Bei der ansässigen Bevölkerung löste die Massenmigration Ressentiments, Überfremdungsängste und Abwehrverhalten aus. Die Zuwanderer waren neben sozialer Diskriminierung gleichzeitig dem Germanisierungsdruck der Behörden ausgesetzt. Ein Teil der polnischen Migranten reagierte darauf mit ethnischer Vergemeinschaftung. Es bildete sich ein polnisches Gemeinwesen im Ruhrgebiet mit einem breit gefächerten Vereins- und Organisationsnetz, das bisher im Mittelpunkt der Forschungen über den Integrationsprozess der Ruhrpolen stand.

Der Beitrag nimmt den Blick weg von den ethnischen Vereinen der Ruhrpolen und fragt nach den Integrationswegen der polnischen und masurischen Zuwanderer, die nicht in diesem Organisationsnetz verankert waren. Im alltäglichen Zusammenleben von Eingesessenen und Zuwanderern im Ruhrgebiet entstanden zahlreiche Kontakte und gemeinsame Bezugspunkte. Dabei nahm die gemeinsame Freizeitgestaltung in den seit der Jahrhundertwende florierenden Fußball-, Taubenzüchter- und Kleingartenvereinen einen bedeutenden Stellenwert ein. Hier entstanden Vereine jenseits von religiösen, weltanschaulichen und ethnischen Zusammenhängen, die ein gewisses Integrationspotential vermuten lassen.

Am Beispiel der Essener Fußballvereine zwischen 1900 und 1939 wird die Beteiligung von Migranten in den deutschen Sport- und Freizeitvereinen deutlich. In den näher untersuchten Vereinen Rot-Weiß Essen, Turn- und Sportverein Helene und Sportfreunde Katernberg fanden sich Zuwanderer ebenso unter den Mitgliedern, wie unter den Funktionären und den Leistungsträgern. Gerade für junge Zuwanderer der zweiten Generation stellten die Fußballvereine ein attraktives Freizeitangebot dar. Die Integration in den Vereinen verlief jedoch keineswegs konfliktfrei. Zahlreiche Namensänderungen von Zuwanderern sowie Stigmatisierung von Vereinen zu "Polackenvereinen" weisen auf das Konfliktpotential hin, das die Mitgliedschaft von Zuwanderern in deutschen Vereinen in sich barg.


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