ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Archiv für Sozialgeschichte
Band XLV/ 2005 - Zusammenfassungen


Jan C. Behrends/Friederike Kind

Vom Untergrund in den Westen. Samizdat, Tamizdat und die Neuerfindung Mitteleuropas in den Achtzigerjahren.

Der Artikel analysiert am Beispiel des Diskurses über Mitteleuropa die Rolle, die Untergrund- und Exilliteratur, aber auch westliche Zeitungen und Zeitschriften bei der Kommunikation zwischen Ost und West in der letzten Dekade des Kalten Krieges gespielt haben. Am Beispiel der Mitteleuropadebatte, die sich in den 1980er-Jahren zu einem transnationalen Projekt zwischen Intellektuellen in Ost und West ausweitete, wird es möglich, die verschiedenen Phänomene der nicht offiziellen ostmitteleuropäischen Literatur ("Samizdat" und "Tamizdat") zu beleuchten. Anhand des ständigen Verhandlungsprozesses über die Möglichkeiten des "Sagbaren" in der Diktatur bzw. das Ausweichen auf ausländische Publikationsformen, lassen sich Einblicke in die Ordnung der Öffentlichkeit in der Spätphase kommunistischer Herrschaft gewinnen. Eine vergleichende Perspektive eröffnet die Möglichkeit, die durch die verschiedenen alternativen Publikationsformen hergestellten Öffentlichkeiten und deren vielfältigen Bedeutungen herauszuarbeiten und in Beziehung zu setzen. Die Betrachtung der für die jeweilige Veröffentlichungsform notwendigen sozialen Netzwerke lenkt den Blick auf ein Ost-West-Kontaktfeld, das jenseits der Sphäre der Diplomatie oder auch der offiziellen Kontakte zwischen Regierungen, Institutionen und anderer offizieller Vertreter stattfand. Es handelte sich um ein transnationales intellektuelles Feld, in dem die Identität Europas neu verhandelt wurde. Der Diskurs über "Mitteleuropa" diente Intellektuellen aus Ost und West primär dazu, die mental map des Kalten Krieges ebenso in Frage zu stellen, wie eine westliche Entspannungspolitik, die einseitig auf Kooperation mit den kommunistischen Regimen setzte und dabei die oppositionellen Gruppen in Ostmitteleuropa aus dem Auge verlor. Zugleich wird deutlich, dass jeder Diskurs über Europa zugleich ein Streit über die Grenzen des Kontinentes und seiner Kultur ist und dass man den Umbruch von 1989 und die fortschreitende Integration Europas nur erklären kann, wenn man auch die Geschichte von Samizdat und Tamizdat einbezieht.


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