ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Archiv für Sozialgeschichte
Band XLV/ 2005 - Zusammenfassungen


Natalie Bégin

Kontakte zwischen Gewerkschaften in Ost und West. Die Auswirkungen von Solidarność in Deutschland und Frankreich. Ein Vergleich

In Deutschland und Frankreich verfolgten der größte Teil der öffentlichen Meinung ebenso wie weite Teile der Bevölkerung die Entwicklung in Polen mit großer Sympathie. Stark differierende Ausprägungen dieser Sympathie konnte man jedoch im Bereich der Gewerkschaften und bei vielen Intellektuellen beobachten. Diese Unterschiede ergaben sich zum einen aus den jeweiligen politischen Kulturen Deutschlands und Frankreichs, zum anderen aus der unterschiedlichen Offenheit des polnischen Staates, gewerkschaftliche Hilfe aus Frankreich zu akzeptieren, aus Deutschland jedoch zu beargwöhnen und weit stärker als im französischen Fall zu behindern. So war es aus innerpolnischen Gründen Lech Walesa leichter nach Frankreich zu fahren als in die Bundesrepublik. Bei den Intellektuellen spielte nicht nur die abweichenden Einschätzung der gesamtpolitischen Großwetterlage eine Rolle, sondern auch stark differierende politische Kulturen: Während in Frankreich vor allem die Verurteilung totalitärer Regime und die Loslösung von der Weggenossenschaft mit der KPF die Einstellung der Intellektuellen spaltete, dominierte in Deutschland die Diskussion um die Entspannungspolitik, da viele westdeutsche Intellektuelle eine Störung des Entspannungsprozesses befürchteten. Die deutsche Diskussion, die mit der Veröffentlichung des "Archipel Gulag" von Solschenizyn 1974 begonnen hatte und mit einer grundlegenden Problematisierung der Vor- und Nachteile der Entspannungspolitik fortgesetzt wurde, spielte auch bei der Rezeption der Solidarnocs-Bewegung eine wichtige Rolle. Eine gegenläufige Entwicklung ließ sich in Frankreich feststellen, wo die einhellige Zustimmung französischer Intellektueller zu Solidarność in den längerfristigen Prozess der Lösung vieler Intellektueller aus dem Einflussbereich der KPF gehörte und diesen 1956 einsetzenden, durch die Ereignisse von 1968 in der CSSR und die Ausbürgerung Solschenizyns (1974) vorangetriebenen Prozess fortführte.


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