ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Archiv für Sozialgeschichte
Band XLIV/ 2004 - Zusammenfassungen


Axel Schildt,

"Die Kräfte der Gegenreform sind auf breiter Front angetreten". Zur konservativen Tendenzwende in den Siebzigerjahren

Wenn die Siebzigerjahre, wie es in ersten Deutungsversuchen in der Regel geschieht, als Jahrzehnt der Liberalisierung und der Sozialdemokratie oder gar als "rotes Jahrzehnt" charakterisiert werden, taucht die Frage auf, wo denn die Wurzeln des sogar zur politisch-moralischen Wende überhöhten Bonner Machtwechsels 1982/83 liegen. Der Artikel nimmt deshalb eine andere Perspektive ein, fragt nach den Etappen der Rekonstruktion des Konservatismus und den Bemühungen um die Hegemonie konservativen Denkens in der Gesellschaft der Bundesrepublik seit den frühen Siebzigerjahren. Skizziert wird zunächst der "Bund Freiheit der Wissenschaft" als defensive Sammlungsbewegung gegen den Geist der 68er, dann der Kampf gegen die "Neue Ostpolitik" als verständlicher, aber strategischer Fehler. Es war ein verständlicher Fehler des Bundes, weil die Linke im Lande und die weltrevolutionären Machtinteressen der Sowjetunion als zusammengehöriges Bedrohungssyndrom wahrgenommen wurden; es war ein strategischer Fehler, weil er auf diesem Feld gegen eine wachsende Mehrheit der Bevölkerung agierte. Der endgültige Durchbruch zur konservativen Tendenzwende, unterstützt von zahlreichen neuen Zeitschriften und anderen Medien, wird auf die Jahre 1973/74, das Ende der wirtschaftlichen Boomphase der Nachkriegszeit und einer politischen Kultur des Optimismus datiert. In der nun in Permanenz vorherrschenden Krisen- und Endzeitstimmung kam es zur Rehabilitierung konservativen Denkens, begleitet von der Konversion etlicher ehemals liberaler Intellektueller und vom Wiederaufstieg der Unionsparteien, die in den Siebzigerjahren als Mitgliederparteien zum Organisationsgrad der Sozialdemokratie aufschließen konnten und enorme Wahlerfolge erzielten, allerdings erhebliche strategische und taktische Differenzen zu überwinden hatten. Mit dem Diskurs der "Inneren Sicherheit" und in der seit der Mitte des Jahrzehnts geführten Diskussion um Grundwerte fand konservatives Denken immer mehr gesellschaftliche Resonanz, so dass die oben genannten Charakterisierungen der Siebzigerjahre zumindest defizitär erscheinen.


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