ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Archiv für Sozialgeschichte
Band XLIV/ 2004 - Zusammenfassungen


Gottfried Niedhart/Oliver Bange,

Die "Relikte der Nachkriegszeit" beseitigen. Ostpolitik in der zweiten außenpolitischen Formationsphase der Bundesrepublik Deutschland im Übergang von den Sechziger- zu den Siebzigerjahren

Die Geschichte der Außenbeziehungen der Bundesrepublik Deutschland kann als Geschichte der Wiedererlangung von Handlungsspielraum und Rückkehr in die internationale Politik geschrieben werden. Nach der Weichenstellung der frühen Fünfzigerjahre trat die Bundesrepublik in den Sechzigerjahren in ihre zweite außenpolitische Formationsphase ein. Als deren Schlüsselbegriffe können Selbstanerkennung, Respektierung der Nachkriegsrealitäten und Ostpolitik gelten. Gebündelt wurde all dies in dem wieder in den politischen Sprachgebrauch aufgenommenen Begriff des nationalen Interesses. Er bezog sich auf die Nation als Ganzes, aber zunehmend auch auf den Teilstaat Bundesrepublik, der als gleichberechtigter Akteur in den internationalen Beziehungen anerkannt werden und die "Relikte der Nachkriegszeit" (Egon Bahr) hinter sich lassen wollte. Vor diesem Hintergrund wird die Ostpolitik der Grossen Koalition und der sozial-liberalen Regierung als Ausweis einer erweiterten Interessendefinition und eines neuen Rollenverständnisses verstanden. Die "neue" Ostpolitik begann nicht erst 1969, doch war es kein Zufall, dass ihr spektakulärer Durchbruch nach der Bildung der Regierung Brandt/Scheel erfolgte. Im Einzelnen wird herausgearbeitet, welche Ziele mit der Ostpolitik verfolgt wurden, nämlich Versöhnung, Sicherheit und Wandel. Versöhnung mit den Völkern Osteuropas hatte einen Vergangenheits-, europäische Sicherheit überwiegend einen Gegenwarts- und friedlicher Wandel einen Zukunftsbezug. Betont wird das offensive Verständnis von Entspannungspolitik, die zu einer "Transformation der anderen Seite" (Willy Brandt) und zur "Desintegration des Ostblocks" (Bahr) führen sollte. Darüber hinaus wird am Beispiel zweier exemplarischer Fälle (Berlin-Krise 1969 im Vorfeld der Wahl des Bundespräsidenten und Ostverträge 1970/71) gezeigt, wie die Ostpolitik in ihrer Doppelgesichtigkeit (Respektierung des Status quo und Insistieren auf friedlichem Wandel) perzipiert wurde, welche Bedenken sie nicht zuletzt bei den westlichen Verbündeten anfänglich hervorrief und welche Rolle die Bundesrepublik als Motor der Entspannung in den Ost-West-Beziehungen spielte.


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