ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Archiv für Sozialgeschichte
Band XLIV/ 2004 - Zusammenfassungen


Frank Fischer,

Von der "Regierung der inneren Reformen" zum "Krisenmanagement". Das Verhältnis zwischen Innen- und Außenpolitik in der sozialliberalen Ära 1969-1982

Der Aufsatz geht der klassischen Fragestellung nach dem Verhältnis zwischen Innen- und Außenpolitik am Beispiel der sozialliberalen Ära der Jahre 1969 bis 1982 nach. In diesem Zusammenhang wird erstens dargestellt, welche innen- und welche außenpolitischen Schwerpunkte die maßgeblichen Akteure der Koalition, voran die beiden sozialdemokratischen Bundeskanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt, ihrem Wollen und Wirken zugrunde legten, und zweitens, inwieweit es ihnen gelang, diesen Zielsetzungen vor dem beherrschenden Hintergrund des Ost-West-Konflikts zu entsprechen. Willy Brandts selbstgewählter Anspruch, ein "Kanzler der inneren Reformen" sein zu wollen, kollidierte - nach dem erfolgreichen Abschluss der bilateralen Ostvertragspolitik und dem Hereinbrechen der ersten Ölkrise 1973/74 - mit gravierenden äußeren Krisenfaktoren, die weiteren inneren Reformen den Boden entzogen und letztlich seinen Rücktritt bewirkten. Die Regierung seines Amtsnachfolgers Helmut Schmidt stand von Anbeginn im Banne "weltweit wachsender Probleme" - in der Währungs- und Finanzpolitik, in der Wirtschafts- und Energiepolitik und insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik: Die sowjetische Aufrüstung mit modernen Mittelstreckenraketen bildete für Schmidt eine inakzeptable Gefährdung des atomaren Gleichgewichts, sie barg die Gefahr politischer Pression und machte eine angemessene westliche Reaktion unausweichlich, wie sie in Gestalt des NATO-Doppelbeschlusses zustande kam. Die innenpolitischen Rückkoppelungseffekte dieser von Schmidt maßgeblich betriebenen Entscheidung - in der Regierung, vor allem aber in der SPD - untergruben wiederum die Fundamente der sozial-liberalen Koalition und hatten ihren Anteil am Sturz des zweiten sozialdemokratischen Bundeskanzlers im Oktober 1982. Alles in allem ergibt sich der Befund, dass sich in der Ära der sozialliberalen Koalition die innenpolitischen Handlungsspielräume nach den außenpolitischen Gegebenheiten bemaßen, dass sich letztere zumindest in stärkerem Maße auf erstere auswirkten, als dies umgekehrt der Fall sein konnte.


DEKORATION

©Friedrich Ebert Stiftung | Webmaster | technical support | net edition ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE | September 2004