ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Archiv für Sozialgeschichte
Band XLIV/ 2004 - Zusammenfassungen


Anja Kruke,

Der Kampf um die politische Deutungshoheit. Meinungsforschung als Instrument von Parteien und Medien in den Siebzigerjahren

Die Demoskopie dient in diesem Aufsatz als Schlüssel, um das Verhältnis von Politik und Öffentlichkeit in den Siebzigerjahren zu durchleuchten. Dazu werden die jeweiligen Praxis der Meinungsforschung in den beiden großen Volksparteien, CDU und SPD, und den Massenmedien untersucht. Bereits am Ende der Sechzigerjahre war die politische Meinungsforschung ein Instrument der politischen Alltags. Beide Parteien verstanden Meinungsforschung als Planungs- und Steuerungsinstrument der öffentlichen Meinung und nutzten die Meinungsforschung ausgiebig. Während die SPD in den Siebzigerjahren verstärkt auf das an Konsum- und Medienforschung orientierte Institut Infratest zurückgriff, beobachtete die CDU ihre Umwelt zunächst über das Sozialwissenschaftliche Forschungsinstitut der Konrad-Adenauer-Stiftung, bevor sie sich ab der Mitte der Dekade hauptsächlich vom Institut für Demoskopie Allensbach beraten ließ. Beide Parteien versuchten, mittels der gezielten Veröffentlichung von Daten die Meinungsbildung ihrer potenziellen Wählerschaft zu beeinflussen. Im Laufe der Dekade mussten sie jedoch feststellen, dass die Medien ihrerseits die Meinungsforschung entdeckten. Diese entwickelten im Laufe der Jahre ein eigenständiges Interesse an der Beobachtungstechnik der Meinungsforschung, das sie zunehmend für eigene Umfragen und Interpretationen nutzten. Damit wurden die Medien selber zu Akteuren der Politik. Es entspann sich ein Kampf nicht mehr nur um die Deutungshoheit zwischen den Parteien, sondern auch zwischen Parteien und Massenmedien. Diese setzten die objektivierten Daten der Demoskopie ein, um sich selber zum 'eigentlichen Volkssouverän' stilisieren zu können. Zwischen dem Ende der Sechziger- und dem Ende der Siebzigerjahre vollzog sich somit eine schleichende, anhand der Demoskopie zu beobachtende Medialisierung der Politik. Dadurch verschob sich das Verhältnis von Politik und Öffentlichkeit. Die von den Medien betriebene Meinungsforschung wurde zur Definitionsmacht über das Politische schlechthin.


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