ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Archiv für Sozialgeschichte
Band XLIV/ 2004 - Zusammenfassungen


Thomas Kleinknecht/Michael Sturm,

"Demonstrationen sind punktuelle Plebiszite". Polizeireform und gesellschaftliche Demokratisierung von den 1960er- zu den 1980er-Jahren.

Im Rückblick verdichten sich die Innovationsbestrebungen der 1970er-Jahre innerhalb der Institution Polizei zu einem Epochenwandel. Dieser vollzog sich vor dem Hintergrund der Hypothek des Nationalsozialismus: Von den "ganz normalen Männern" (Christopher Browning) der Ordnungspolizei führten viele personelle Kontinuitätslinien zur Schutzpolizei der Bundesrepublik. Das antiautoritäre Demonstrationsgeschehen fand in "1968" einen auch für die Polizei revolutionären Gipfelpunkt. Außerparlamentarische Protestbewegungen hatten in dem Jugendprotest der 1950er- und 1960er-Jahre schon vielfältigen Ausdruck gefunden. Die dramatischen Konfrontationen Ende der Sechzigerjahre zwischen der Polizei und den vorwiegend akademisch geprägten Akteuren führten gleichwohl zu einer Reihe von Reformansätzen. Sie gaben so der professionellen Praxis der Schutzpolizei einen neuen Stil und brachten reflektiertere Einsatzformen hervor. Ausgewählte Biografien von Polizeireformern sowie ein Blick auf den lokalen Fall München sollen diesen Übergang veranschaulichen. Traditionalistische Bildungsansätze fanden Eingang in ein neues polizeiliches Leitbild: Darin waren das Selbstbild und die Wahrnehmung der politischen Umwelt wesentlich von den Sozialwissenschaften und von der Polizeipsychologie geprägt.

Die Reformer trieben die Entmilitarisierung der Polizei entscheidend voran und entwickelten ein - oftmals umstrittenes - liberalisiertes Verständnis von "Demonstrations- und Versammlungsfreiheit" (Alfred Dietel/Kurt Gintzel) und von Politik überhaupt. Über gegenläufige Entwicklungen hinweg wird darin bei der Polizei als - neben der Bundeswehr - zivile Trägerin eines sanktionsbewehrten staatlichen Machtmittels ein demokratischer Lernprozesses erkennbar. Dieser trug verbunden mit konkreten staatlichen "Befriedungsmaßnahmen", wie den Amnestie-Erlassen für Demonstrationsstraftäter von 1970, dazu bei, zahlreiche der vormals revolutionär eingestellten Protagonisten der 68er-Bewegung in die bundesdeutsche Gesellschaft zu integrieren.


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