ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Archiv für Sozialgeschichte
Band XLIV/ 2004 - Zusammenfassungen


Adelheid von Saldern,

Markt für Marx. Literaturbetrieb und Lesebewegungen in der Bundesrepublik in den Sechziger- und Siebzigerjahren

In diesem Beitrag geht es um ein Zusammenspiel von Markt und Marx, um ein rund zehnjähriges enges Verhältnis (von der Mitte der Sechziger- zur Mitte der Siebzigerjahre) zwischen der Neuen Linken und diversen Verlagen, zwischen linken Autoren und linken Lektoren, zwischen Literaturbetrieb und Lesebewegungen. So unterschiedlich ihre politische Herkunft und ihre Bindungen waren, so einte sie alle der Wunsch, eine gesellschaftskritische 'Gegenöffentlichkeit' herzustellen. Unter 'Lesebewegungen' wird hier ein hauptsächlich über Printmedien vermittelter Kommunikationsraum verstanden, der sich durch große linksorientierte Vielfalt auszeichnete, was durch die Anwendung der Pluralform zum Ausdruck gebracht werden soll. Der Aufsatz gliedert sich in drei Abschnitte. Im ersten Teil geht es um einen zusammenfassenden Überblick über die Entwicklung des Literaturbetriebs in den Sechziger- und Siebzigerjahren. Der Literaturbetrieb wird als ein Feld (Pierre Bourdieu) betrachtet, das zwar hauptsächlich von den etablierten Verlagen beherrscht wurde, an dessen Rändern sich jedoch ein zweites kleines Feld linker Verlage herausbildete, welches das Gesamtfeld dynamisierte und eine bis dahin nie gesehene Fülle von linker, vielfach an Marx orientierter Literatur hervorbrachte. Dieser Erfolg basierte auf einer ebenfalls dynamisch wachsenden Käufer- und Leserschicht. Als Folge dieses dynamischen Prozesses gelang es den linken Lesebewegungen eine zeitlang, die politischen Positionen in beträchtlich großen Teilen der bundesdeutschen Öffentlichkeit zu verschieben und sogar partielle Deutungsmacht zu erringen. Dies wird wie im zweiten Teil gezeigt. Die Lesebewegungen, hauptsächlich von Schülern, Studenten, jüngeren Wissenschaftlern und Lehrern getragen, war eng mit einer intensiven Kommunikations- und Diskussionskultur, einer engmaschigen Vernetzung sowie mit bestimmten Lebensstilmustern verwoben. Doch diese neuen Kräfte konnten sich als Lesebewegung nicht auf Dauer halten, wofür im dritten Teil der Ausführungen einige Gründe genannt werden. Insgesamt zeigt sich, dass die Lesebewegungen die Studentenbewegung vorbereiteten, sie begleiteten, ihr folgten und Übergänge bis zu den neuen sozialen Bewegungen der späten Siebziger- und der frühen Achtzigerjahre schufen. Sie sollten deshalb in keiner Geschichte der alten Bundesrepublik fehlen.


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