ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Archiv für Sozialgeschichte
Band XLIV/ 2004 - Zusammenfassungen


Wolfgang Kraushaar,

Die Frankfurter Sponti-Szene. Eine Subkultur als politische Versuchsanordnung

Als Folge der 1969 auseinanderfallenden Außerparlamentarischen Opposition entwickelten sich in den Siebzigerjahren nicht nur diverse maoistische Polit-Sekten, sondern auch verschiedene Subkulturen. Die meisten von ihnen waren zweifelsohne nach innen gewendet, einige andere hingegen nach außen; diese besaßen eine politisch durchaus folgenreiche Dimension. Indem es der Frankfurter Kadergruppe "Revolutionärer Kampf", die zuvor vergeblich versucht hatte, die Arbeiterschaft in einem Werk der Automobilproduktion für den Klassenkampf zu mobilisieren, bald gelang, das verpönte Etikett des Spontaneismus positiv zu besetzen, wurde der Weg für ein jahrelanges soziokulturelles Experimentierfeld geöffnet. Im Zentrum stand dabei eine Hausbesetzerbewegung, die es durch ihre öffentlichkeitswirksamen Aktionen vermochte, die SPD als die seinerzeit in Frankfurt dominante Kraft kommunalpolitisch unter Druck zu setzen. Die Umwandlung eines ehemals bürgerlich geprägten Stadtteils wie dem Westend in eine Bürolandschaft ging mit der zunehmenden Zerstörung von Wohnraum einher und rührte zugleich an das soziale Gewissen der Sozialdemokratie. Diesen Widerspruch machten sich die führenden Kräfte der Sponti-Szene zunutze und betrieben in den besetzten Häusern zielgerichtet den Ausbau von Wohngemeinschaften. Diese galten zeitweilig als "befreite Gebiete", von denen man sich eine tiefergreifende Umwälzung der Lebensformen als von der Verfolgung eines abstrakt bleibenden antikapitalistischen Revolutionsmodells versprach. Mitte der Siebzigerjahre zeichnete sich jedoch ab, das dieses an die Konstituierung einer eigenen Subkultur gebundene Konzept in eine Sackgasse führen würde. Auch alle Versuche, diese Ansätze über die Gründung eigener Kleinbetriebe in eine Alternativbewegung zu transformieren, erwiesen sich schon bald als Fehlschlag. Als Korrekturmöglichkeit blieb nur die Rückwendung zum Parlamentarismus, nun unter ökologischen Vorzeichen. Damit war die Spontibewegung zwar unwiderruflich zu Ende, für einen Teil der Akteure jedoch zugleich auch ein Neuanfang gemacht: Auf dem "realpolitischen" Flügel der Grünen konnten sie die Entwicklung der Partei prägen. Als Resultat dieses wechselhaften Prozesses kann nicht nur eine gewisse Mitgestaltung in der Kommunal-, Landes- und Bundespolitik angesehen werden, sondern auch die Neudefinition von Lebensstilen und Biografieentwürfen im soziokulturellen Kontext.


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