ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Archiv für Sozialgeschichte
Band XLIV/ 2004 - Zusammenfassungen


Bernd Faulenbach,

Die Siebzigerjahre - ein sozialdemokratisches Jahrzehnt?

Von 1969 bis 1982 regierten sozialdemokratisch geführte Bundesregierungen unter den Kanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt die Bundesrepublik Deutschland. Doch inwieweit drückte die Sozialdemokratie diesem Jahrzehnt tatsächlich ihren Stempel auf? Der Frage wird nachgegangen, indem zum einen die politische Entwicklung der Siebzigerjahre mit der der vorangegangenen und der folgenden Zeit kontrastiert und in die gesamte Nachkriegsentwicklung eingeordnet wird, zum anderen dadurch, dass die großen politischen Fragen der Zeit mit der sozialdemokratischen Politik in Beziehung gesetzt wird. Beleuchtet wird die von Willy Brandt vorangetriebene und von seinem Nachfolger weitergeführte Ostpolitik. Ebenfalls werden Politikkonzepte wie die europäische Entspannungspolitik und die Ausweitung der Europäischen Gemeinschaft dargestellt, die unübersehbar eine sozialdemokratische Handschrift zeigen. Als Kern der Reformpolitik der späten Sechziger- und der frühen Siebzigerjahre wird die "Demokratisierung" bestimmt, die - obwohl als Betriff mehrdeutig und anfechtbar - sozialdemokratischen Ideen ebenso wie dem wachsenden Partizipationsverlangen in der Gesellschaft, der "Fundamentalpolitisierung" entsprachen. Doch zweifellos führte diese "Demokratisierung" eben auch zur Politisierung von gesellschaftlichen Gegenkräften. Unverkennbar geriet dieser Politikansatz seit Mitte der Siebzigerjahre zunehmend in den Hintergrund, während die Auswirkung der weltwirtschaftlichen Turbulenzen zur neuen Herausforderung der Politik wurde. Durch abgestimmtes Verhalten der Industrienationen suchte Helmut Schmidt diese Herausforderung zu meistern, eine Strategie, die man - mit Einschränkungen - als eine neue Stufe der Globalsteuerung sozialdemokratischer Provienenz interpretieren mag. Noch schwieriger ist das Verhalten der sozialdemokratischen Bundesregierung zur Ökologie-Problematik sowie Helmut Schmidts Politik in der Nachrüstungsfrage einzuordnen. Während die Sozialdemokratie nach 1969 zunächst die verschiedenen Reformkonzepte zu bündeln versuchte, konkurrierten diese später innerhalb der SPD. War es in den früher Siebzigerjahren der SPD gelungen einen Teil der jungen Generation zu integrieren, so erwies sich dies bei der Ökologie- und Friedensbewegung als weitgehend unmöglich, vielmehr verstärkte sich von hierher eine Sogwirkung weg von der Sozialdemokratie. Zur Erosion ihrer Macht trug allerdings auch das in der FDP zunehmend virulente Aufkommen neoliberaler Positionen bei. Aufs Ganze gesehen lässt sich bei den Siebzigerjahren mit Einschränkungen von einem Jahrzehnt sprechen, in dem die Sozialdemokratie im Zentrum der deutschen und teilweise der europäischen Politik stand, diese beeinflusste, doch auch von den zentralen Themen des Jahrzehnts gefangen genommen wurde.


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