Karin Hunn
Asymmetrische Beziehungen: Türkische "Gastarbeiter" zwischen Heimat und Fremde. Vom deutsch-türkischen Anwerbeabkommen bis zum Anwerbestopp (1961-1973)
Die zwölf Jahre dauernde offizielle Anwerbung türkischer Arbeitskräfte durch die Bundesrepublik Deutschland mündete bekanntlich in einen Einwanderungsprozess, der bis in die Gegenwart andauert und noch heute eine große Herausforderung für die bundesdeutsche Politik und Gesellschaft darstellt. Zur Beantwortung der Frage, woher die besonderen Schwierigkeiten der Integration türkischer Migranten rührten, wird häufig pauschal auf die islamische Kultur und Religion verwiesen. Der vorliegende Beitrag hinterfragt diese monokausale Betrachtung und untersucht, warum den von der deutschen Politik und Wirtschaft anfangs kaum reflektierten kulturell-religiösen Unterschieden zwischen Türken und Deutschen im Laufe der Jahre eine immer stärkere Abgrenzungsfunktion zukam.
Zur Erklärung werden insbesondere die bislang wenig beachteten wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Bedingungen in der Türkei und - damit zusammenhängend - die unvorhergesehene Entwicklung des ursprünglich von beiden Seiten als befristet gedachten Migrationsprozesses herangezogen. Die zu konstatierenden Fehlentwicklungen führten dazu, dass die mit der Beschäftigung türkischer Arbeitskräfte in Westdeutschland zusammenhängenden Interessen beider Länder zunehmend auseinanderdrifteten, ohne dass entsprechende migrationspolitische Kurskorrekturen vorgenommen worden wären. Die dadurch bedingten sozialen Defizite gingen vor allem zu Lasten der türkischen Migranten, die in hohem Maße sich selbst überlassen blieben, keine klare Zukunftsperspektive entwickeln konnten und allmählich ein Diaspora-Bewußtsein ausbildeten, das sich aus nationalen bzw. ethnischen, kulturellen sowie religiösen Differenzen speiste und somit zur stärkeren Betonung derselben führte.