ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Archiv für Sozialgeschichte
Band XXXXI / 2001 - Zusammenfassungen


Uta Schwarz

Wochenschauen als Quellen einer Kulturgeschichte des Sozialen. Die Kategorie Geschlecht in den bundesdeutschen Wochenschauen der fünfziger Jahre


Aus einer Kritik der politikgeschichtlichen Wochenschauforschung, die sich vorwiegend auf NS- und alliierte Besatzungswochenschauen konzentriert hat, wird ein kulturgeschichtlicher, an der Kategorie Gender orientierter Ansatz zur Analyse der Wochenschauen der fünfziger Jahre entwickelt. Die Wochenschauen stellten ein geschlechtlich strukturiertes Programm aus "männlicher" Information und "weiblicher" Unterhaltung dar. Ihr narrativer Aufbau folgte den auch im Spielfilm vorhandenen geschlechtlich strukturierten Erzählstrategien. Als filmischer Ausdruck einer "gedachten" Gemeinschaft suchten die bundeseigene Neue Deutsche Wochenschau und die Parallelserie Welt im Bild eine neue westdeutsche Identität nach Hitler zu inszenieren und dabei auch soziale und geschlechtliche Identitäten zu formen.

Die Modedarstellung in den frühen Bundeswochenschauen führte ein neues soziales Deutungsmodell der Mode ein, als ab 1952 für Kunstfasern aus westdeutscher Produktion geworben wurde. Nicht mehr eine soziale Distinktion der Oberschicht, sondern die konsumdemokratische Nivellierung der Gesellschaft, die gleichzeitig als Geschlechterharmonie gedacht war, wurde als soziale Funktion der Mode bestimmt. Der inszenierte Gegensatz zwischen "männlicher" blue collar-Arbeit und "weiblicher" Luxusmode aus Kunstfasern diente dem Ziel, die sozialen Gegensätze durch die Genderisierung ihrer Darstellung zu anthropologisieren. Männern wurde dabei die Position des berechtigten Adressaten und Begutachters weiblicher Mode offeriert, Frauen dagegen die Aussicht, konsumberechtigt und -verpflichtet zu sein und die Mode als ein Mittel zur Erringung männlicher Aufmerksamkeit zu betrachten. Die Wochenschauen inszenierten eine modernisierte – auf den fiktiven Horizont einer heraufkommenden Konsumgesellschaft ausgerichtete – Version der patriarchalen Geschlechterordnung.

Die audiovisuelle Repräsentation der Politik setzte Geschlechterbezüge gezielt und vielfältig ein. Die Darstellung von Frauen im Umfeld von Adenauer war funktional, um den Kanzler als Helden und pater patriae zu inszenieren und die moralische Qualität der neuen Politik zu übersetzen. Bei der Darstellung von Politikerinnen (Marie Elisabeth Lüders, Louise Schröder, Elisabeth Schwarzhaupt) gingen die Wochenschauen erst Anfang der sechziger Jahre dazu über, Frauen als selbstverständlich an Politik und öffentlicher Macht Teilhabende zu inszenieren. Das überkommene misogyne Konnotationssystem, Weiblichkeit mit Scheitern und Trauer in eins zu setzen, wurde für die positive Darstellung der Bundesregierung funktionalisiert. Zur Frage einer geschlechtsspezifischen Wochenschaurezeption werden zeitgenössische Umfrageergebnisse teilweise neu gedeutet. Die politischen Auftraggeber spekulierten zweifellos darauf, mit den Wochenschauen Wahlstimmen von Frauen zu gewinnen. Nichts deutet allerdings darauf hin, dass die von den Wochenschauen gebotenen Erlebniswelten von Frauen besonders geschätzt wurden, im Gegenteil: Die Wochenschauen stießen insbesondere beim männlichen Publikum und bei Jugendlichen auf hohe Akzeptanz.

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